Aktionäre

— Jg. 1924, Nr. 17 —

Irgendwo in Hannover ist man kürzlich auf eine sehr ergiebige Erdölquelle gestoßen.

Ein Ereignis für ganz Deutschland, hätte man denken können. Allgemeine Freude. Vorträge in den Schulen, Filmvorführungen, Zeitungsartikel: „Ein neuer Bodenschatz“, „Bereicherung des Nationalvermögens“ und dergleichen.

Es blieb aber bei einer kleinen Notiz unter „Neueste Nachrichten“, einem kleinen Artikel im Handelsteil (den der Bürger nicht liest, weil er lateinisch gedruckt ist) und — ja, die Aktien der bohrenden Firma gingen über Nacht um zehn und etliche Prozent in die Höhe.

Einige Leute werden sich also immerhin über den Erfolg gefreut haben: die Herren Aktionäre, die Bankdirektoren und Börsenjobber, die in dem betreffenden Papier „engagiert“ waren.

Sollen wir’s ihnen gönnen? Haben sie verdient, was sie „verdient“ haben? Für ihre Tatkraft, mit der sie die Bohrung durchgeführt, den Schweiß, den sie dabei vergossen, den Segen, den sie damit gestiftet haben? Du lieber Gott, von den Herren haben die meisten vielleicht nie einen Bohrturm gesehen außer in der Berliner Illustrierten, und, da sie in „besseren Verhältnissen“ aufgewachsen sind, wissen sie wahrscheinlich kaum, wie Erdöl riecht. Sie gehören zu der Schicht von Mitbürgern, die ihr Geld im Klubsessel und an der Telefonstrippe verdienen.

Es stimmt schon: daß das ein ungeheurer Unfug ist; daß diese Menschen mit „arbeitslosem Einkommen“ in Wirklichkeit erbärmliche Schmarotzer sind; daß zwischen Arbeit und Kapital niemals Friede gemacht werden kann, solange der Arbeiter zusehen muß, wie fette Faulenzer mit dem, was er in saurer, schlechtgelohnter Fronarbeit erschaffen und aufbauen hilft, an der Börse spielen. Man komme mir nicht mit dem Geschwätz von der „wirtschaftlichen Notwendigkeit“ der Jobberei, von der „automatischen Steuerung“ der Wirtschaft durch die Börse, von der Auslese im Kampf ums kapitalistische Dasein. Es hört sich manchmal sehr gelehrt an, aber ich versichere euch, es ist Quatsch. Wenn es wirklich so wäre, daß alle Börsenspekulanten Juden und alle Juden Börsenspekulanten wären, dann würde ich heute noch Antisemit.

Der Haß des arbeitenden Volks gegen die Leute, die von seiner Arbeit leben, ohne den Finger krumm zu machen, ist voll berechtigt. An ihn appellieren die „völkischen“ Agitatoren. Kein Wunder, wenn sie Erfolge haben. Dazu ist das Publikum (und sind die — häufig gutgläubigen — Agitatoren selber) leider zu dumm, um die Taschenspielerei zu durchschauen, mit der sie die Begriffe „Jude“ und „Jobber“ miteinander auszuwechseln pflegen. (Die Hintermänner, die selber auf „Aktienpaketen“ sitzen, sind über das Ablenkungsmanöver natürlich im Bilde.) Und soweit denkt die Masse natürlich auch nicht, daß sie die Judenfresser nach ihrem positiven Wirtschaftsrezept („Brechung der Zinsknechtschaft“ ist eine Frase, nichts weiter) fragte und es unter die kritische Lupe nähme.

Sie haben überhaupt keine durchführbare aufbauende Idee, sie wissen keinen gangbaren Weg zur Beseitigung des Aktienschwindels und Börsenspiels.

Erzberger hat sich einmal bemüht, einen solchen aufzuzeigen. Er nannte ihn „christlichen Solidarismus“. Zufällig ist er kurz darauf ermordet worden. Von Antisemiten. Als Werkzeugen von — nun, wahrscheinlich von Leuten, die Aktien haben. Teils Nichtjuden, teils — hm, es könnte sein, daß auch Juden dabei sind.

Walther Rathenau, der Jude, hat in seiner letzten Schrift ebenfalls einen solchen Weg gezeigt. Sie hieß „Autonome Wirtschaft“; sie handelt von der Abschaffung des Unternehmers, von der Übernahme der Betriebe durch die Arbeiter, von der radikalen Beseitigung des ganzen Aktienunwesens. Der Verfasser, der zeigen wollte, wie man die „Zinsknechtschaft“ brechen könnte, ist — wer weiß, vielleicht wegen dieser Schrift — ermordet worden. Von Antisemiten. Von Werkzeugen. In wessen Solde? Man weiß nicht. Wahrscheinlich — siehe oben.

1924, 17 · Kazenwadel