Der Holzkopf

— Jg. 1929, Nr. 18 —

Das Berliner 8-Uhr-Abendblatt erzählt in einer seiner letzten Ausgaben eine Geschichte, die jeden Vaterländisch-Gesinnten tief schmerzlich berühren muß. Es handelt sich um nichts weniger als um die vielfältigen Irrfahrten des göttlichen Dulders Hindenburg. Nicht des lebenden, sondern des eisernen, der in der großen Zeit auf dem heutigen „Platz der Republik“ in Berlin aufgestellt war. Man durfte gegen entsprechendes Entgelt der „vielfach überlebensgroßen Figur“ aus knorrigem deutschem Eichenholz zu Gunsten der Kriegsverletzten und Kriegshinterbliebenen eiserne und goldene Nägel in Brust und Nabel treiben. Je vernagelter, desto besser — so ist nun mal das Heldenideal unseres Volkes.

Dieser Hindenburg stand in Obhut des Luftfahrerdankes, der auch für die Verwaltung der eingenommenen Gelder verantwortlich war. Und wie das bei unseren gemeinnützigen und patriotischen Unternehmungen so üblich ist, geriet die Luftfahrerdank G. m. b. H. mit ihrem gesamten Vermögen in Konkurs. Man eröffnete ein Strafverfahren gegen den Geschäftsführer, das aus vaterländischen Motiven natürlich im Sand verlaufen mußte. Auch der eiserne Hindenburg geriet in die Konkursmasse und kam unter den Hammer. Die Konkursverwaltung wollte mit ihm keinen Gewinn erzielen, sie machte einigen vaterländischen Verbänden Offerte in dieser Branche, kam aber mit ihnen leider nicht ins Geschäft, da sie nicht einmal die Zerlegungs- und Transportkosten bezahlen wollten. Man bot den Hindenburg wahllos nach rechts und nach links an — umsonst: die Hindenburgkonjunktur war vorbei. An der Börse für nationale Werte herrschte durchgreifende Baisse.

Schließlich ließ man den Helden von der Firma Erich Butzke abbrechen. Herr Butzke bot ihn billigst zum dritten- und letztenmal an, diesmal an Ostpreußen, deren Land das lebende Original von den Russen befreit hatte. Aber die undankbaren Ostpreußen hatten keinen Bedarf.

Es blieb nach alledem nichts übrig, als das vernagelte Heldenideal, gevierteilt und in lauter kleine Stücke zerschnitten, auf dem Lagerplatz der Berliner Hoch- und Tiefbaufirma Meyer (ausgerechnet Meyer!) in einem Schuppen unterzustellen. Man versuchte zwar, die Hindenburgklötzchen zu konservieren, aber es ist ein Naturgesetz, daß alles Veraltete, Unbrauchbare und Überlebte zu Staub zerfallen muß. Rost, Schwamm und Moder zerfraßen den mächtigen Heldenleib, und eines schönen Tages hat man die schimmligen und morschen Überreste pietätslos und ohne Trauerfeierlichkeiten verbrannt. Nicht einmal ein Regierungsvertreter war anwesend.

Nur der Holzkopf (ja, ja, ich weiß schon!) blieb erhalten. Allein seine Ausmaße müssen Respekt einflößen: hat er doch im Durchmesser an die zwei Meter. Was soll mit ihm geschehen? Wie man hört, soll ein reicher Amerikaner, der das Stück für sein Raritätenkabinett erwerben möchte, bereits ein Angebot gemacht haben.

Können wir es länger mit ansehen, wie nationale Güter zu Spottpreisen verschleudert werden? Nein, unser Hindenburg muß uns erhalten bleiben. Ich schlage deshalb vor, einen „Verein zur Erhaltung des Holzkopfs“ zu gründen. Mitgliedsbeiträge können eingesandt werden an…

1929, 18 Tyll