Die demokratische Republik

— Jg. 1922, Nr. 23 —

Also, das ist ganz famos! Die Republik zieht immer weitere Kreise. Der Gedanke des Volksstaates ist auf der ganzen Linie im Sieg begriffen. Es häufen sich die Fälle, wo republikanische Verordnungen ohne monarchistische Ausführungsbestimmungen ins Land hinausgehen. Neulich soll sogar in Geheimratsvorzimmern die Anschaffung weiterer republikanischer Dienststempel in den Bannkreis der Erwägungen gezogen worden sein. Auf die Anklageschrift „Zwei Jahre Mord“ werde, wie man hört, in absehbarer Zeit mit einer Regierungsdenkschrift geantwortet werden. 

Eine ungeheuer freudige Erregung hat dieserhalb weite republikanische Schichten erlaßt. Der Optimismus liegt förmlich in der Luft. Gerüchte schwirren wie Maikäfer. 

Aus den Bädern und Kurorten kommen Nachrichten, daß sämtliche Damen abgereist seien, um in Zigaretten- und Bonbonsfabriken als Arbeiterinnen einzutreten. Barone und Grafen seien bereits im Ruhrrevier als Grubenarbeiter tätig. Erste Folge: Die proletarischen Belegschaften seien in den Streik getreten, um den Zwölf-Stundentag zu erzwingen. Es heißt, die Hohenzollern hätten ihre sämtlichen Forderungen an den preußischen Staat zurückgezogen. Der Kronprinz soll den Erlös aus seinen, bzw. Rosners Erinnerungen zur Anschaffung republikanischer Fahnen gestiftet haben. Im übrigen sei ein Verein endgültig „ehemaliger“ Fürsten ins Leben getreten, um wenigstens auf demokratischer Grundlage dem Leben ratlos gegenüber zu stehen. 

Mir hüpft das Herz vor Freude, wenn sich alle diese Gerüchte bestätigen. Man hat den unwiderstehlichen Eindruck, daß die Deutschen ein Volk sind. Zeitungen sollen ihr Erscheinen eingestellt haben, weil es doch nichts mehr zu beeinflussen gäbe. Börsenspekulanten und solche Leute z.B. sollen ihre Kuponscheren auf dem Altar des Vaterlandes geopfert und ihre Wertpapiere den nächsten Metzgern als Einwickelpapier zur Verfügung gestellt haben. In Berlin seien in führenden Kreisen spartanische Verhältnisse eingekehrt. Der Inhaber von „Dressel“ habe sich in einem Anfall von Schwermut das Leben genommen. Ein Massenangebot von übrigen Regierungs-Autos begegne absolut keiner Nachfrage. 

Das ist ja einfach brillant! Man faßt sich an den Kopf, wie das alles auf einmal so hat kommen können! Habe ich es nicht immer gesagt, im deutschen Volk stecke ein guter Kern und am deutschen Wesen müsse noch einmal die Welt genesen? 

Und sie wird genesen. Ein unendlich großer historischer Moment ist über uns hereingebrochen. Wir kennen keine Parteien mehr, nur noch Deutsche. Viele sind sicher wie ich von dem Ereignis ganz erschüttert. Der Patriotismus steht sprachlos seiner Verwirklichung gegenüber. In höheren Beamtenkreisen soll eine starke Neigung vorhanden sein, wieder zu einer Beschäftigung zurückzukehren. Die Kirche fürchte sogar, das Himmelreich sei nahe herbeigekommen, da man sich sonst solche unbegreiflichen Vorgänge nicht erklären könne. Sie lege deswegen eine überraschende Gleichgültigkeit gegenüber irdischen Gütern an den Tag. Fälle, in denen Christen in ihren Handlungen sogar im Einklang mit den Lehren Christi standen, sollen schon vorgekommen sein.

Einige deutschnationale Gelehrte sollen sich allerdings noch gegen die ausgebrochene Demokratie sträuben. Man hofft in Fachkreisen mit Zuversicht, daß der Volkskörper gesund genug sei, um den Krankheitsstoff möglichst rasch auszuscheiden. Die Fälle, daß in christlichen Kreisen nach der Lehre des Nazareners gehandelt worden ist, haben sich in der Tat als ganz vereinzelte Ausnahmen herausgestellt. Aber wie dem auch sei. Ich lasse mich von meinem Optimismus nicht abbringen. Wir gehen herrlichen demokratischen Zeiten entgegen. Vor meinem geistigen Auge ersteht das Bild einer vollendeten Demokratie. Ein Volk der Arbeit in Fabrik und Werkstatt. Fürsten sind zu brauchbaren Menschen geworden. Reiche und Arme sind gleich. In den Palästen wohnen die Kranken und Erholungsbedürftigen und in den Kurorten und Bädern erholen sich die Volksgenossen, die es am notwendigsten haben. Alle Versicherungen, alle Sorgen um die Existenz sind aufgehoben. Die Demokratie ist die beste Versicherung.

Hier bricht das Protokoll des behandelnden Arztes ab. Der Kranke ist nach den oben wiedergegebenen Ausführungen als unheilbar einer Anstalt überwiesen worden. 

1922,23 Hermann Mauthe