Eine vorbildliche Familie

— Jg. 1931, Nr. 10 —

Ich weiß nicht, was die Leute immer über die schlechten Zeiten zu klagen haben, das ist doch alles übertrieben, wissense, die sind eben mit nichts zufrieden, ich zum Beispiel kenne da eine gewisse Familie, die kommt ganz schön aus, sie lebt vom Existenzminimum und kann alle Einnahmen, die darüber hinausgehen, auf die hohe Kante legen. Ich will Ihnen mal ihren vorbildlichen Etat vorführen.

Also es sind fünf Köpfe: Vater, Mutter, ein Bub von 14, ein Mädel von 7 Jahren und dann noch ein Setzling von anderthalb. Sehen Sie, die leben da glücklich und vergnügt in einer Zweizimmer-Wohnung; Küche ist natürlich dabei; aber von Zentralheizung und Warmwasserversorgung und solch kostspieligem Zeug ist seffaständlich keine Rede, die Leute sind halt noch vom guten, alten Schlag. Darum leben sie auch in einer Altwohnung — ist immerhin auch eine Ersparnis, wer den Pfennig nicht ehrt, und Raum ist in der kleinsten Hütte …

Übrigens zahlen die Leutchen keinerlei Steuer, wozu auch; Steuern hat ja in Deutschland nur unsereins zu zahlen, und wie! — immer gleich in die Zehntausende, aber was die sozial tieferstehenden Schichten sind, die haben’s ja wie der Herrgott in Frankreich, und zahlt der vielleicht Steuern?

Na, sie verdienen auch diese Vergünstigung, meine lieben Bekannten; denn die sind noch vom alten Schlag; da hat zum Beispiel die Frau bis vor sechs Jahren immer noch einen weißen Unterrock gekauft, jedes Jahr; den hat sie aber nun auch aufgegeben; was die Leutchen anziehen, sind wenige, aber gute Sachen: baumwollene Strümpfe die Frau, Flanellhemden der Mann und der Junge, schwarze Rindslederstiefel alle zusammen. Solid, aber gut. Die Stiefel werden zweimal im Jahr besohlt, nur die der Alten und der beiden größeren Kinder versteht sich; achtmal Schuhsohlen für fünf Personen — das langt.

Was soll ich Ihnen noch erzählen? Ja, also Obst, Salat und dergleichen essen diese schlichten, vorbildlichen Menschen nicht; für Sport werfen sie kein Geld zum Fenster hinaus, und Tabak und Bier gibt’s nicht. Was die Bildung betrifft, so kommen sie mit vier Kinobilletten und vier Reclamheften im Monat aus; ist ja auch reichlich genug, was sollen schon solche Leute mit zum Beispiel Literatur! Zweimal im Jahr darf sich auch eins von den Fünfen die Haare schneiden lassen, natürlich tragen da die übrigen immer ein bißeben wilde Perücken herum, bis sie auch an der Reihe sind; aber das hält warm, schützt das Hirn und erspart Kopfbedeckung, wenigstens im Sommer, meinen Sie nicht auch? Der Vater läßt sich jeden Monat achtmal rasieren, fast jede Woche zweimal, trägt also auch auf diese Weise zur Verbilligung des Haushalts bei. Kurzum, es sind vorbildliche Staatsbürger, wenn nur alle, die immer so auf die Besitzenden schimpfen, sich nach ihnen richten würden. Wir brauchen Einfachheit und Bescheidenheit, brauchen wir, nehmse noch ein Brasil, ja? und einen Hennessy, bitteschön!

Was sagense? Gäb’s nich, sone Familie? Da irrense aber, kann ich Ihnen flüstern: die gibt’s! Wissense, was der Reichsindex der Lebenshaltungskosten ist? Das ist die amtliche Berechnung des durchschnittlichen Existenzminimums. Und die Familie, von der ich Ihnen erzählt habe, ist diejenige, nach der unser Index berechnet ist. Die Etatsposten, die ich Ihnen da von meinen Bekannten erzählt habe, stammen aus dem Haushalt der amtlichen Indexfamilie. Was amtlich ist, das stimmt; und wenn amtlich ausgerechnet wird, daß die normale Familie so und so lebt, dann sollten Sie’s nicht besser wissen wollen. Vielleicht mehr: nehmse sich ein Muster, und noch’n Kognac.

1931, 10 Mara Bu