Gescheitert

— Jg. 1928, Nr. 43 —

Das von der kommunistischen Partei eingeleitete Volksbegehren, das den Bau von Kriegsschiffen verboten wissen wollte, ist gescheitert. Es sind nur etwa zwei Millionen Stimmen aufgekommen, die Hälfte der Zahl, die notwendig gewesen wäre, um das beantragte Gesetz vor den Reichstag und einen etwaigen späteren Volksentscheid zu bringen.

Die Sozialdemokratie, die in dem Volksbegehren der K.P.D. lediglich ein gegen sie gerichtetes parteipolitisches Manöver gesehen hat, triumphiert. Vielleicht etwas zu sehr und etwas zu früh.

Es ist zwar richtig: man hat nun gesehen, daß eine derartige Aktion ohne die S.P.D. keinen Erfolg hat. Der Einfluß der K.P.D. in Deutschland ist weit geringer als die Wählerziffer vom 20. Mai es erscheinen ließ. Sie hat keine Presse, kein Geld, keine Führer. Und sie hat auf dem Lande fast gar keinen Boden. Ein „Kommunist“ ist für die große Mehrzahl unserer biederen Volksgenossen und namentlich -genossinnen offenbar etwas Fürchterliches.

Man kreuzt zwar bei einer geheimen Wahl aus lauter Verbitterung einmal die rote Partei an, etwa wie Kinder den Teufel an die Wand malen (und dann froh sind, wenn er doch nicht kommt). Aber seinen Namen auf eine Liste setzen, die von der K.P.D. aufgelegt ist — Gott behüte! Ja, wenn die S.P.D. mitgemacht hätte, die heute durchaus gesellschafts- und regierungsfähig geworden ist!

Die S.P.D. hat nicht mitgemacht, obwohl sie, wie sie nachdrücklich versichert, ebenfalls gegen den Bau von Panzerkreuzern ist. Und auch ihre „oppositionellen“ Mitglieder, der linke Flügel, die Sachsen, haben Disziplin gehalten und in der kritischen Zeit nicht gegen den Panzerkreuzer, sondern gegen die K.P.D. agitiert, die ebenfalls gegen Panzerkreuzer ist. Eine Haltung, die bei der Parteileitung der S.P.D. stolze Befriedigung erweckt haben mag: wir haben unsere Leute fest in der Hand; bei neutralen Zuschauern je nachdem ebenfalls Befriedigung oder Trauer: über die unheilbare Spaltung der Arbeiterklasse, die über den Klassenfeind niemals siegen wird, solange sie mit beispielloser Verbissenheit und tödlichem Haß den Bruderkrieg in den eigenen Reihen führt.

Die S.P.D., der stärkere Bruder, freut sich über den Sieg, den ihm der Mißerfolg des Volksbegehrens bedeutet. Aber wenn die Partei den Weg weitergehen wird, den ihre Führer am 10. August (dem Nachfolger des 4. August 1914) beschritten haben, wenn die Taktiker vom Kaliber Severing und Hörsing in ihr die unumstrittene Oberhand bekommen, wenn mit ihrer Hilfe nach einem „positiven Wehrprogramm“ aufgerüstet werden wird, dann wird es sich eines Tages zeigen, daß ein Sieg auch ein Pyrrhussieg sein und daß hinter einem Höhepunkt der jähe Abfall kommen kann. „Genosse“ Severing und „Kamerad“ Hörsing wollen Seite an Seite mit Hindenburg, Groener und Heye marschieren. Es ist kaum denkbar, auch bei einem Höchstmaß von Parteifrommheit, „Disziplin“, Schafsgeduld oder wie wir das je nach Temperament nun heißen mögen, daß die sozialdemokratischen Arbeitermassen (in denen, o Ironie des Geschehens, heute die Erinnerung an die Zeit vor 50 Jahren jubiläumsweise aufgefrischt wird) dabei auf die Dauer mitgehen werden.

Wir Kriegsgegner, die wir, ohne an dem Zwist zwischen S.P.D. und K.P.D. beteiligt oder interessiert zu sein, das Volksbegehren mitunterzeichnet haben (und morgen wieder mitunterzeichnen würden), weil sein Inhalt unserem Willen entsprach, werden jedenfalls bis auf Weiteres nicht mehr mit dem alten Vertrauen zur S.P.D. hinüberschauen können wie bisher. Wir verfolgen ihre Politik, die heute nicht mehr so eindeutig ist wie vor fünfzig Jahren, mit einer Spannung, die von Zweifel und Besorgnis erfüllt ist.

1928, 43 Erich Schairer