In der Drecklinie

— Jg. 1922, Nr. 5 —

Nirgends findet man bissigere Feindschaft als unter Verwandten. Schwiegermutter und junges Paar, Vater und Sohn, zwei feindliche Brüder — gibt es Beziehungen, die häufiger und heftiger vom Haß vergiftet werden?

So ist es auch im politischen Leben. Mit überlegener Ironie bewitzeln die demokratischen Blätter die Deutschnationalen, mit heimlichen Neid beehren diese die „Asfaltdemokraten“ mit Retourchaisen: zwei Kreise, die sich kaum berühren. Aber schon wenn die Sozialdemokraten mit dem Zentrum oder die Demokraten mit der Deutschen Volkspartei sich herumstreiten, spürt man die Erbitterung, geboren aus der Angst vor der Konkurrenz. Jedoch die schönsten Blüten treibt der Konkurrenzneid im Kampf zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten.

Der Ausdruck „Bonze“ wirkt wie Gestreicheltwerden von weichen Händen, und „Heuchler“ ist fast eine Liebkosung, „Geschwätz der S.P.D.“ wird wie eine wissenschaftlich-sachliche Feststellung gebraucht, und „Demagogie“ ist abgeleiert und veraltet. Im Krieg der beiden „Bruderparteien“ braucht man ganz andere Geschosse: „Arbeiterleutnants“, „echte Gassenjungenmanier“, „Dreck“, „Gimpelfang“, „Clowns“, „Taschenspieler“, „enge Doktorhirne“, „Arbeiterhenker“ (statt des verblaßten Ausdrucks „Verräter“) — mit solchen Granaten bombardiert man, wenn man kommunistischer Zeitungsschreiber ist, seine Genossen.

Und die Maschinengewehre der sozialdemokratischen Redaktionen entgegnen mit Witzchen, die überlegen und ironisch sein sollen und doch die besorgte Stimmung kaum verbergen können. Eine Veranstaltung der K.P.D. ist eine „Gala-Vorstellung“, der „große Saal gähnt von öder Leere“ (was hat denn sonst ein Saal zu tun?), nur hie und da durcheilen ihn „wichtigtuende Funktionäre“. Die Leiter der Versammlung verschleudern die „Arbeitergroschen“ in ellenlangen Protesttelegrammen. Eine Versammlung des „Roten Frontkämpferbundes“ sieht nach den Berichten sozialdemokratischer Zeitungen aus wie der Kriegsrat eines Indianerstammes. Da erscheint der „Höchstkommandierende in kriegerischem Schmuck“, seine „juchteledernen Reitstiefel“ bedecken „beinah seine ganzen Oberschenkel“. Es graust einem vor den Kommunisten, wenn man sich das vorstellt! Und selbst die kommunistischen Blasinstrumente taugen nichts. Sie geben keine gut bürgerlichen Töne von sich, wie es sich eigentlich gehört, nein: ihr Ton stimmt „vollständig mit dem einer Ziehharmonika“ überein. Die Redner „verzapfen Tiraden“, bewegen sich wie „Marionetten“, und wenn einer Kasper heißt, dann heißt er nicht nur so: „sein Name ist ein Symbol“. Man meint manchmal, diese Artikelschreiber verwechseln das Tinten- mit dem Güllenfaß.

Genug? O bitte, es soll mir eine Ehre sein, weiter aufzuwarten.

Noch schlimmer als in Zeitungsartikeln ist es in Versammlungen. „Keil, der gerissene Schieber“ ist ein beliebtes Inventarstück kommunistischer Redner, das „Reichsbanner“ ist geworden zu einem „Reichsjammer“ (falls es nicht „Jammerblase“ oder — sehr geschmackvoll! — „Schwarz-Rot-Hengstenberg“ tituliert wird). Die Ehre des „Reichsbanners“ wird aber wiederhergestellt, indem man, mit dem denkbar größten Aufwand von Geist, den „Roten Frontkämpferbund“ als „Laubsammlerbund“ bezeichnet. Übrigens lohnt es sich gar nicht, sich mit der K.P.D. noch weiter abzugeben: sie ist und bleibt die „Partei der moralischen Verlumpung“.

So befehden sich die beiden Parteien, deren Angehörige das gleiche Los, die gleiche Not zu tragen haben. So erziehen die Führer den Stand, von dem man sagt, er sei dazu berufen, eine bessere Zeit heraufzuführen, den Stand, von dem man hofft, er werde einst eine gerechtere Gesellschaftsordnung schaffen.

Wie wird die aussehen? Sachlichkeit, Ordnung, Anstand, Achtung vor dem Gegner werden wohl die Haupttugenden des öffentlichen Lebens sein. Denn schon ein altes Sprichwort sagt: Wie man säet, so wird man ernten.

1927, 16 Hermann List

Sie schlugen sich gegenseitig die Schädel ein; zum Schluß hörte ich sie dann die „Internationale“ singen.

1922, 5 Mauthe