Karikatur und Satire

Humor ist, wenn man trotzdem lacht, sagt Wilhelm Busch. Diese reifste Form der Weltbetrachtung beruht auf milder Resignation, auf Skepsis und tiefer Einsicht in die Unzulänglichkeit und Fragwürdigkeit alles Menschlichen, also auf überlegener Weisheit. Der Humor sieht immer beide Seiten, und da er ausgleichend und versöhnend wirkt, bietet er oft die letzte Lebensmöglichkeit, nämlich: sich mit dem Gegebenen, so wie es nun mal ist, abzufinden. Humor ist eine Alterserscheinung. Und überdies eine Rarität. Denn sabbern allein beweist noch keinen Humor.

Der Satiriker hat ihn nicht. Er will sich nicht abfinden, er ist keineswegs geneigt, das Gegebene als endgültig hinzunehmen. Er will es ändern. Und so verhält er sich vor allem einmal zu jeder Autorität, der er sich beugen soll, kritisch. Wehe, wenn sie, statt auf geistiger und sittlicher Überlegenheit zu beruhen, sich auf Äußerlichkeiten oder auf das Recht des Stärkeren stützt. Sie verfällt unfehlbar der Lächerlichkeit. Auslachen ist oft die einzige Waffe, einem an äußeren Machtmitteln überlegenen Gegner beizukommen. Denn man sagt, Lächerlichkeit töte.

Kein Wunder, daß Karikatur und Satire immer zu den schärfsten politischen Waffen gehört haben. Und stets war es die Opposition, die diese Waffen mit besonderer Virtuosität geführt hat. Das mag daran liegen, daß etwas bereits Bestehendes oder Verwirklichtes, wie es eine Gesellschaftsordnung, eine Regierungsform oder ein Regierungsprogramm ist, naturgemäß viel mehr Angriffsflächen bietet als eine Theorie, die noch nicht realisiert ist. So richten sich Karikatur und Satire der Opposition immer gegen das Bestehende, indem sie ihm den Schein des Unabänderlichen und Gottgewollten nehmen, es respektlos vivisezieren, seine Fundamente: Autoritätsglauben und Wert-Theorie untergraben, die Kehrseite der Medaille zeigen, kurz, es lächerlich machen. Und da sich die beiden an einen der elementarsten Triebe wenden, an die Lachlust, die ja die Menschen immer am liebsten auf Kosten anderer befriedigen, wirken diese politischen Kampfmittel viel unmittelbarer als alle sachlich-theoretischen Überzeugungsversuche.

Theorien und Systeme sind etwas Totes. Sie leben nur durch die Menschen, die sie vertreten oder verkörpern. Deshalb greift die Satire, wenn sie ein System oder eine Klasse treffen will, deren typische Vertreter an, zum Beispiel: den Offizier, den Richter, den Abgeordneten, den Pfarrer, den Literaten, den Bonzen, den Star, den Spiesser oder den Polizeidiener. In allen diesen Typen soll weniger das menschlich meist uninteressante Individuum getroffen werden als vielmehr die Klasse oder Institution, deren bezeichnende Repräsentanten diese Figuren sind. Es ist wohl denkbar, daß auch das korrupteste System noch den oder jenen achtbaren Vertreter aufweisen kann, dem also unrecht geschieht. Aber hier gilt: mitgegangen, mitgehangen! Objektivität ist noch nie die starke Seite der Satire gewesen. Sie ist bewußt einseitig, sie verallgemeinert, übertreibt und vergröbert, denn sie will möglichst sinnfällig sein, um von allen verstanden zu werden. Sie will Kritik wachrufen. Gerechtigkeit, landläufig genommen, darf man von ihr nicht erwarten, so wenig wie fotografische Ähnlichkeit von der Karikatur. Und doch sind die beiden in einem höheren Sinn sowohl gerecht wie ähnlich, denn sie geben das Wesentliche.

Häufig hört man von friedliebenden Leuten den Einwand: gewiß ist es so, aber so scharf darf man es nicht ausdrücken; das Persönliche sollte aus dem Spiel bleiben. Voila — das berühmte Kalb mit den zwei Köpfen! Bei uns zerfällt der Mensch immer in das „Persönliche“ und sonst noch was. Was heißt denn das: politisch ist er zwar ein Gauner, aber menschlich ist er ein anständiger Kerl? Also ist er doch ein Gauner. Und was bleibt, wenn man das „Persönliche“ bei unsern Regierern aus dem Spiel läßt? Bestenfalls ein Titel und ein Parteibuch. Weil sie zum großen Teil persönlich Nullen sind, sind sie es auch politisch. Ein kleiner skatspielender Amtsrichter ist vom Standpunkt des Satirikers aus wirklich nicht besonders interessant. Aber wenn der kleine Amtsrichter plötzlich Staatspräsident wird, dann gewinnt auch sein „Persönliches“ an Interesse für den Satiriker, der draus Schlüsse ziehen kann auf das Wesen seiner Klasse, die ihn gewählt hat und ihn gar als Ideal ansieht.

Getroffene Hunde bellen. Bei uns besonders laut. Denn unsere Angegriffenen sind meist weder so klug noch so humorvoll wie der verstorbene Stresemann, von dem man erzählt, daß er ein Sammler aller seine Person betreffenden Karikaturen gewesen sei. Im allgemeinen bieten sie gegen Spott und Witz den ganzen schwerfälligen Apparat ihrer Macht auf. Das hagelt nur so von Geld- und Gefängnis-Strafen, von Verboten, Beschlagnahmungen, Unterdrückungen und anderen Knüppelmaßnahmen. Was einem den Verdacht nahebringt, daß die Herren ihrer Gottähnlichkeit selbst nicht trauen. Wahre, wirkliche Autorität leidet nicht darunter, daß man zeigt, auch ihr sei nichts Menschliches fremd.

Im Übrigen sei bemerkt, daß die Art der Satire, die Möglichkeiten zu richterlichem Einschreiten bietet, nicht immer die beste ist. Denn gerade das ist ja einer der Hauptreize für den Satiriker, etwas zu sagen, ohne es eigentlich zu sagen. Und wenn man ihm das Singen verbietet, so pfeift er. Das ist meist viel weniger harmlos. Bosheiten hintenherum klingen immer gehässiger, galliger und spitzer als in aller Öffentlichkeit ausgesprochene Spöttereien. Die Franzosen sind klüger. Sie wissen, daß das öffentliche Durch-den-Kakao-ziehen der Regierenden ein harmloses Ventil für die Unzufriedenheit der Regierten ist. Gewaltsame Verdrängung führt nach Freud stets zur Hysterie.

Satire muß sein, hat mir mein Herr Staatsanwalt versichert, als er mich verknaxte. Und er muß ja wissen, was ihm nottut.

Tyll