Kolonien

— Jg. 1927, Nr. 15 —

Das Beste an dem miserablen „Friedensvertrag“ von Versailles ist vielleicht, daß er uns unserer Kolonien beraubt hat. Es erspart uns viele Ausgaben: Die Regierung hat einen Posten weniger, aufgrund dessen sie das Geld des Volkes verputzen kann. Wir brauchen nicht mehr die Söhne der deutschen Bauern und Arbeiter nach Afrika, Asien und in die Südsee zu schicken, damit sie dort für „ihre Interessen“ sterben. Wir laufen nicht mehr Gefahr, wegen unserer Nachbarschaft zu den von anderen sogenannten Kulturvölkern unterjochten Völkern in Eingeborenenaufstände oder gar in nationale Kriege verwickelt zu werden. Für die Teutobolde allerdings sind das alles zwingende Gründe, nun erst recht nach der Wiedergewinnung von Kolonien zu streben. Und unsere Verantwortlichen, die jeden Tag zehnmal vor dem Angesicht der Welt feierlich allen Imperialismus abschwören, kennen keine heiligere Pflicht, als nach Aufrüstung der Reichswehr und Rückgabe unserer früheren Kolonien zu geilen. Damit wir auch wissen, wofür wir sie bezahlen!

Wenn Kolonien einen Sinn haben könnten, so — in unserer unsentimentalen Zeit — doch keinesfalls den, unser „nationales Prestige“ zu heben, sondern einzig den: unserer Volkswirtschaft zu nützen. Daß sie das tun könnten, wird schwerlich zu beweisen sein. Wäre es so, erhöbe sich immer noch die Frage, ob es heutzutage, wo die Erkenntnis von der Unsittlichkeit des Kolonialismus nicht nur in den Hirnen vieler Angehöriger „zivilisierter“ Völker aufzudämmern beginnt, sondern auch — was ausschlaggebend ist — die annoch unterjochten „Wilden“ zur geschlossenen Befreiungsaktion gegen ihre Zwingherren anfeuert, nicht zweckmäßiger wäre, auf die politische Oberherrschaft über außereuropäische Gebiete, eine Herrschaft, deren Wert ebenso problematisch ist wie ihre Fortdauer, zu verzichten und statt dessen ohne Anmaßung, mit Freundlichkeit, Klugheit und Geschick Geschäfte zu machen, die beiden Teilen nützen.

Es geht nämlich auch anders. Beispiel: China. Wir haben dort kein Tsingtau mehr, das wir als Musterkolonie in allen vier Weltenden ausschreien können; es wimmeln dort keine deutschen Soldaten mehr rum, um den schlampigen Gelben preußische Disziplin vorzuführen; keine Iltisse beschießen mehr Takuforts; keine „Germans“ sind mehr stolz, daß sie ein britischer Admiral „to the front“ kommandiert, damit sie für die Sache der weißen Nationen ins Gras beißen, und kein Waldersee spielt mehr Weltmarschall und kommt zu spät, weil der Krieg vorbei und alles, alles wieder gut ist. Auch gibt’s in China für die Deutschen keine Sonderrechte, keine eigene Gerichtsbarkeit und dergleichen mehr. Und trotzdem floriert das Geschäft. Trotzdem? — gerade deshalb!

Versailles hat unserem Drang nach imperialistischer Betätigung im eigenen Kontinent einen Dämpfer aufgesetzt. Seien wir so klug, uns nun nicht Ersatz zu suchen in Eroberungsplänen außerhalb Europas. Die große Auseinandersetzung zwischen den in Knechtschaft gehaltenen farbigen Rassen, deren Vorkämpfer China und Rußland sind, sollte uns nicht an der Seite der Sklavenhalter finden, oder doch mindestens nicht im Bunde mit ihnen, durch gleiche Schuld mit ihnen verkettet.

Hätten wir Kolonien, so wäre alles weniger einfach: es ist schwer, aufzugeben, was man hat. Wir sind aber in der glücklichen Lage, keine zu haben; seien wir nicht so dumm, in der Ära des zusammenbrechenden Kolonialismus schnell noch mit in die Firma einzutreten, damit wir, wenn der Kladderadatsch kommt, doch ganz bestimmt auch unseren Balken auf den Deez kriegen. Seien wir vielmehr froh, daß wir diesmal keine Kastanien im Feuer haben; mögen die anderen die ihren selbst rauslangen!

1927, 15 Max Barth