Kuno Fiedler

Fiedler studierte ab 1913 in Leipzig Theologie und war zunächst Pfarrvikar in Planitz in Sachsen. 1918 wurde er in Leipzig mit einer Dissertation über Gustav Theodor Fechner zum Dr. phil. promoviert. Am 23. Oktober desselben Jahres führte er die Haustaufe von Elisabeth Mann durch, dem fünften Kind von Thomas und Katia Mann. Thomas Mann, mit dem er seit 1915 korrespondierte, berichtet darüber in Hexametern im Gesang vom Kindchen. Manns literarisches Porträt des „geistlichen Jünglings“ ist dabei nicht frei von distanzierter Ironie und verletzte Fiedler; doch „zählte [er] unter den als Einschwärzungsmaterial dem Werk einverleibten Opfern Thomas Manns zu jenen, die sich versöhnen liessen“ (Thomas Sprecher).[1]

Neben dem Kirchenamt publizierte er viel. Seine zunächst anonym erschienene Streitschrift Luthertum oder Christentum? führte 1922 zu seiner Entlassung aus dem Kirchendienst. Er ging in den Schuldienst, erst als Volksschullehrer, dann als Studienrat in Neustadt an der Orla, ab 1930 in Altenburg als Religionslehrer.

Ende 1932 weigerte sich Fiedler, im Unterricht die von Fritz Sauckel (NSDAP), dem thüringischen Innenminister, verordnete Propaganda durchzuführen. Er lebte danach als Journalist in Dettingen am Main. Zweimal besuchte er Thomas Mann in Küsnacht im August 1934 und im April 1936, bis er am 2. September 1936 ohne Angabe von Gründen verhaftet wurde. Später erfuhr Fiedler, dass die Gestapo ihn verhaftet hatte, weil sie in ihm einen Agenten eines Spionagerings um Thomas Mann vermutete.[2] Fiedler gelang in der dritten Haftwoche die Flucht aus der politischen Abteilung des Würzburger Landgerichtsgefängnisses, der Grenzübertritt erfolgte auf einem Kahn über den Bodensee in die Schweiz, wo er mit der Unterstützung Manns und der Europäischen Zentralstelle für kirchliche Hilfsaktionen eine Stelle als Pfarrer in St. Antönien erhielt und 1947 eingebürgert wurde. Auch begegnete er Thomas Mann nach dessen Rückkehr aus den USA wieder. Ihre Korrespondenz setzte sich bis in Manns Todesjahr fort. Die „bedeutendsten Äusserungen über Religion und Religiosität“, die von Thomas Mann vorliegen, finden sich in Antwortbriefen an Fiedler.[3]

1955 verliess er seine Pfarrei und verbrachte den Ruhestand in völliger Zurückgezogenheit im Tessin.

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Kuno_Fiedler

Zu Kuno Fiedler siehe auch:

Klaus Bäumler
Kuno Fiedler (1895-1973)
Ein deutsches Schicksal – dem Vergessen entreißen

veröffentlicht in:

Dirk Heißerer (Hg.):
Thomas Mann in München
Vortragsreihe Sommer 2003
Thomas-Mann-Schriftenreihe Band 2. München, Peniope, 2004

Ein Schlaglicht auf Kuno Fiedler wirft die folgende Schilderung der Ehefrau von Erich Schairer, Helene Schairer, geb. Lutz (1889-1981)

Kuno Fiedler und das III. Reich

Dr. Fiedler kleidete seine Artikel für die Sonntags-Zeitung in sorgsame Hüllen. Wer Ohren hatte zu hören, der hörte und verstand den Ruf – Deutschland wache auf! Auf diesen heimlichen Gegner wurden die Führer des III. Reiches aufmerksam und sperrten ihn in Würzburg ins Gefängnis. Darüber wurde nichts bekannt, auch Erich Schairer hatte lange Zeit keine Ahnung davon. Es muss etwa Sommer 1935 gewesen sein, als Erich Schairer von seinem Freund Owlglass zu einigen Erholungstagen nach Fürstenfeldbruck eingeladen wurde, seine Gesundheit hatte es dringend nötig, ich war allein in Haus und Garten mit den Kindern, wo es ständig viel Arbeit gab. Eines Tages am Vormittag klopfte es vorsichtig an ein Fenster von Erich Schairers Arbeitszimmer, es lag im Parterre gegen die Straße zu. Ich ging hin u. schaute nach, vor mir stand ein Unbekannter – Bekannter in ärmlicher Kleidung, verhärmten Gesichtes und mit fast tonloser Stimme. Fragte stotternd „Ist Schairer hier? Ich muss ihn unbedingt sprechen!“ – „Leider ist er verreist für etwa 10 Tage!“. Und der andere sagte dann: „Ich bin Kuno Fiedler, gestern aus dem Gefängnis in Würzburg entwichen, ich hab keinen Pfennig Geld, werde von der Polizei verfolgt, ich muss möglichst rasch über die Grenze nach der Schweiz. Schairer ist mir noch Honorar schuldig von einigen Aufsätzen in seiner Zeitung,“ er schaute ständig ängstlich nach allen Seiten, stand ausserhalb des Hauses – „ich möchte nicht, dass man mich hier findet.“ Die gewünschte Summe hatte ich garnicht im Haus, und Bankkonten hatten wir damals auch nicht, mein Haushaltungsgeldgeber war der Hausherr, der mir, je nachdem er es hatte, bar in Mark auszahlte. „Ich kann Ihnen jetzt nichts geben! Wenn Sie morgen noch einmal kommen können?“ Damit fand er sich ab, auch weil er so voller Unruhe und gehetzt war und lief schnellstens die Straße nach Esslingen hinunter. – Ich überlegte dann: Jetzt was tun, Frau Schairer – das Geld, wer gibt mir das so schnell, ohne dass ich den Grund für den Bedarf angab? Ich hatte nur noch wenige Mark in der Tasche, da ich in Bälde die Rückkehr des Hausherrn erwartete, schlimm dass gar kein Geld im Haus ist kein Geld im Haus – aber da kommt mir ein Gedanke. Kreszens, das gute Hausmädchen von damals, die legte ja monatlich ihren guten Lohn in ihr Nachttischschublädele, das gab sie nicht auf die Bank, sie wollte das für eine spätere Aussteuer zusammensparen und ab und zu sehen und nachzählen, wie viel es schon wäre. Schairer bezahlte seine Angestellten etwas über das übliche hinaus, um sein christlich soziales Denken zu bekunden. Und ich sagte dem Mädchen, dass ich das einem Bekannten des Hauses leihen möchte, der plötzlich in grosse Not gekommen wäre und morgen von mir 120 M bekommen sollte. Der Hausherr würde es ihr bei seiner Rückkehr sofort wieder ersetzen. Und die gute Kreszens half gerne mit.

So kam der nächste Tag. Am frühen Vormittag standen zwei Polizeibeamte vor der Haustüre. Sie wollten den Herrn Dr. Schairer sprechen. „Wir waren gestern unten in Stuttgart auf seinem Büro und er war nicht mehr da“, so wollten sie ihn hier oben treffen, ehe er in sein Büro ginge. „Aber mein Mann ist gar nicht zu Hause, er ist seit einigen Tagen in Fürstenfeldbruck zur Erholung und wird etwa in acht Tagen wieder in der Redaktion sein.“ In solchen Augenblicken steht man wirklich unter göttlichem Schutz. Ich wäre in großer Gefahr gewesen, wenn die beiden etwa bei mir nach Dr. Fiedler gefragt hätten. Ich war nicht so gewandt, um Ausreden aufzutischen, alles wäre schiefgegangen, aber nach meiner offenherzigen natürlichen Auskunft dachten sie nicht daran und gingen wieder fort.

Während der Hitlerherrschaft im III.Reich wohnte Erich Schairer mit seiner Familie in Sulzgries, einem Vorort von Esslingen in der Nähe von Stuttgart. Unten im Stuttgarter Talkessel hatte er eine Redaktions-Stube für die Heraugabe seiner Sonntags-Zeitung. Schairer war großer Gegner des Nazi-Regimes, das war selbstverständlich. Es war schwer für ihn, sich über Wasser zu halten, ohne daß man bei seiner Aufrichtigkeit und Kampfbereitschaft ihm seine Zeitungs-Herausgabe verbot. Er war klug, den ständigen täglichen Schikanierereien überlegen, über diese sprach er kaum ein Wort zu Nächststehenden. Seine Familie mit sechs schulpflichtigen Kindern lebte wohlbehütet in einfachen Verhältnissen auf der Sulzgrieser Höhe, wo er ein altes Bauernhaus, die frühere Wirtschaft „zum Bären“ erworben hatte. Dieses war geräumig und hatte einen großen Garten ums Haus voll Bohnen und Beeren mit Bauernwiese und dahinter als Abgrenzung ein lustig und klar dahinfließendes Bächlein. Erich Schairer war sehr ordnungsliebend, wehe, wenn einmal eine Gartenharke nicht an ihrem Platz aufzufinden war. Alles was er anschaffte war von großer Einfachheit, aber brauchbar und solide musste alles sein. Auch wenn er wenig Geld hatte, kaufte er wenigstens doch beste Qualität. So sammelte sich auch nichts unnützes an und man konnte das Haus gut in Ordnung halten. Unten in der Stadt Stuttgart hatte er viele Freunde und Anhänger, Leser seiner Zeitung, die er gerne zu einem Glas Wein oder selbst gekeltertem schwäbischen Apfelmost in sein Sulzgrieser Haus einlud. Dazu gab es von der Hausfrau selbst gebackenes Hausbrot, das Mehl dazu kaufte er selbst bei den Bauern auf der schwäbischen Alb, wo er sicher sein konnte, daß er die reine Gottesgabe erhielt und keine Mischware, nichts dazwischen gemogeltes: „Dinkel“ eine Weizensorte, die keine Rekordernten gibt und nur noch auf der Alb angebaut wurde. Diese Beschreibung von Haus Hof und Garten soll eine Einführung sein zu einer Begebenheit, die ich mir schon länger vorgenommen hatte, niederzuschreiben. Sie ist ein Zeitdokument aus dem III. Reich und sollte ab und zu aufgefrischt werden, da wir jetzt der Jahrhundertwende entgegen immer noch die Früchte dieser „Heroischen Zeit“ zu tragen haben. Wie Erieh Schairer schon damals prophezeite und mit sorgerfülltem Herzen darüber sprach: „Unsere Kinder und Enkel werden es noch zu büßen haben!“

Sein Büro, wo er seine Wochenzeitung redigierte, lag vorerst an der unteren Königstraße, nicht weit vom Bahnhof, ein Raum in bescheidenster Ausführung, ein Einmannbetrieb; Redakteur und Schriftsteller, Druckerei und Versand, alles unter seiner Aufsicht, weiter Abonnentenwerber, Inseratensammler! Die mit der Post versandten Exemplare (mit Streifband verschickt) wurden teilweise abends im Familienkreis fabriziert. Hier hieß es auch: Wo ein Wille ist, ist ein Weg. Mit Klugheit und großem Geschick ging dies alles programmäßig vor sich. Auch um Mitarbeiter musste er sich bemühen, solche, die seine Lebensanschauung teilten und auch überdurchschnittliches zu sagen hatten. Einer unter diesen war Dr. Kuno Fiedler. Wie Erich Schairer war er als Theologe ausgebildet, schied aber bald wegen Gewissensfragen aus dem Pfarrdienst aus. „Er schrieb, allein in einem kleinen Häuschen im Maintal, von Weinbergen umgeben wohnend: „Die Stufen der Erkenntnis“, ein philosophisches Buch, das Anerkennung fand. Fiedler war wie Er1ch Schairer ein großer Gegner der Hitlerei, von Anfang an ihres Triumphgeschreis traute er der Sache absolut nicht und legte ein Notizbuch an, in dem er heimliches, Hörensagen aus dem Volk sammelte, worin man über Zeitungen und Hörfunk im westlichen Ausland den Teufeleien der Nazis auf die Spur kam. Einige Stunden später klopfte es wieder ans Fenster des Herrenzimmers. Dr. Fiedler stand draußen. Diesmal etwas gefasster und ruhiger. Er hätte die Nacht bei weitläufigen Bekannten unten im Neckartal unterkommen können, sie hätten Verständnis für seine Lage und er konnte dort auch seinen Hunger stillen. Er berichtete mir dann einiges über seine Flucht aus dem Gefängnis. Wie er dann an der Straße stand im Sträflingsanzug und schnellstens die Straße überqueren wollte, stand da ein Haus, dieses hatte in der Parterrewohnung einen Balkon vorgebaut, der kaum einen Meter über der Erde stand. Unter diesem fand er Unterschlupf, er legte sich hinten an die Hauswand an, so dass man ihn von der Straße nicht sehen konnte. Dort wartete er die Nacht ab, bis der Hauptverkehr auf der Straße abgeflaut war und versuchte mit einem Güterlastwagen weiterzukommen. Und wirklich – so ein verständnisvoller Kapitän der Landstraße, der abenteuerliche Dinge bei seinem Beruf schon öfters erlebt hatte, war treuherzig genug, den Flüchtling mitzunehmen, er fuhr dem Süden zu, wohin Fiedler auch kommen wollte. – Fiedler bekam die versprochenen Moneten, dann holte ich einen Fahrplan herbei, um seine Weiterfahrt festzulegen, via Ulm-Bodensee. Bis Ulm mit einem Schnellzug – aber ungerne – in diesem könnte er von einer Zugkontrolle überrascht werden, aber ohne diese rasche Beförderung bis Ulm hätte er den Bodensee nicht mehr am gleichen Tag erreichen können. Von da ab im Zickzack auf kleinen Bahnstrecken, und er kam dann tatsächlich am Abend in den vorgeschlagenen Ort Allensbach am Untersee. Dort hatte ein Kunstmaler namens Marquard ein Haus mit Pension, im Grenzgebiet gelegen, ganzjährig und im Sommer kamen dort Gäste aus Deutschland, man nahm so viele auf, wie die alleinarbeitende Hausfrau verkraften konnte. Erich war auch schon mit seinen älteren Kindern dort. Als Fiedler sich von mir verabschiedete, gab ich ihm zum Lesen im Zug ein paar Zeitschriften mit, damit er sich vor Gesprächen im Zug absondern konnte, es waren 2 Hefte des Christian Science Monitor, womit er sich als Wanderprediger hätte ausweisen können.

Erich Schairer, der während diesen Tagen bei Freund Owlglass zu Gast war, wollte von dort aus noch an den See fahren. Das schöne, warme Wetter lockte zum Schwimmen und Bootfahren. Als Erich hin kam, war das ganze Haus besetzt, aber Marquard, der ein getreuer Leser seiner Sonntags-Zeitung war, nahm ihm trotzdem auf, die meisten Gäste waren aus Deutschland, es war die Zeit des „Heil Hitler“-Hurra-Patriotismus, man war nicht mehr ganz en famille. An diesem späten Abend kam noch ein Gast ins Haus, ein unerwarteter, Erich Schairer traute seinen Augen nicht – das ist ja der Dr. Fiedler, das kann doch nicht sein, der sitzt ja in Würzburg im Gefängnis. Aber er war es doch – wie kahn man das zusammenbringen, so einige Nazis unter demselben Dach mit einem vom Führer steckbrieflich Verfolgten! Die drei Nichtnazis saßen noch zusammen. und es entstand ein weiser Plan.

Am nächsten Morgen wurde in der Pension bekanntgegeben: „Wir machen heute einen gemeinsamen Ausflug in die Schweiz, 24 Menschen haben im Boot Platz. Man Kann drüben in ein Kaffee gehen und Zucker ohne Marken einkaufen. Am Abend wieder zurück. Das schöne Wetter muß heute benützt werden!“ Es fuhren viele mit, die Grenzer kannten Marquars und seine Kaffeegäste, an der Grenze wurden sie gezählt und notiert. Beim Rückfahren sagte der Grenzbeamte „Da fehlt ja einer!“ und Marquard sagte „Das war ja ein Schweizer aus Bern, der wollte zurück, das wurde doch bekanntgegeben!“

Und so kam Dr. Kuno Fiedler über die Grenze, fuhr nach Bern und wurde vom Schweizer Präsidenten freundlich aufgenommen, denn er konnte ihnen Auskunft geben von zwei Schweizern, die im Hitler-Deutschland verschwunden waren und als Verdächtige Ausländer ebenfalls im Würzburger Gefängnis festgehalten wurden.

(Mit geringfügigen Korrekturen nach dem Wortlaut einer maschinengeschriebenen Fassung, welche Helene Schairer etwa um 1980 herum ihrem Sohn Eberhard diktierte.)