Schandfrieden

Die russische Verhandlungsdelegation mit Leo D. Trotzki, Dezember 1917

Volker Ullrich in DIE ZEIT Nr. 7 vom 8. Februar 2018. Der Versailler Vertrag war milde im Vergleich zu den Bestimmungen von Brest-Litowsk: Vor 100 Jahren diktierte das Deutsche Reich Russland einen Gewaltfrieden ohne Kompromisse und setzte seinen Eroberungszug im Osten unvermindert fort.

Am 3. März 1918, einem lauen Vorfrühlingstag, herrscht auf der Leipziger Messe ein Gedränge wie in Friedenszeiten. Ein besonders dichtes Knäuel hat sich um ein Denkmal mit einem davor postierten erbeuteten englischen tank gebildet. An ihn angelehnt, verkauft ein Mann ein Extrablatt: „Heute um fünf Uhr wurde der Friede in Brest-Litowsk unterzeichnet“. „Stück um Stück ging sehr rasch ab“, beobachtet der Romanist Victor Klemperer, „und jedes wurde mit den ruhigen und monoton gesprochenen Worten überreicht: ‚Rahmen Sie sich das ein – rahmen Sie sich das ein‘.“

„Eingerahmt“ haben sich die Deutschen die Erinnerung an den Frieden von Brest-Litowsk nicht. Im Gegenteil: Nach 1918 setzte rasch ein Prozess des Verdrängens ein. In der Depression über die Niederlage im Westen vergaß man ganz, wie euphorisch man ein halbes Jahr zuvor den Friedensschluss im Osten bejubelt hatte, der noch einmal die Aussicht auf einen Gesamtsieg zu eröffnen schien. Und in der allgemeinen Empörung über den „Schandfrieden“ von Versailles übersah man geflissentlich, dass Deutschland dem revolutionären Russland Bedingungen oktroyiert hatte, an denen gemessen sich das Versailler „Diktat“ geradezu milde ausnahm.

Alles begann mit der Machtübernahme der Bolschewiki am 7. November 1917 in Petrograd. Bereits einen Tag später richtete der Zweite Allrussische Rätekongress auf Vorschlag Lenins einen Aufruf an alle kriegführenden Mächte, einen sofortigen Frieden zu schließen „ohne Annexionen und Kontributionen“. Während Russlands ehemalige Verbündete, England und Frankreich, wenig Neigung zeigten, der Einladung Folge zu leisten, signalisierten die Mittelmächte, Deutschland und Österreich-Ungarn, Verhandlungsbereitschaft. Da man nicht wisse, wie lange sich Lenin halten könne, müsse man „den Moment ausnutzen“, um „Faits accomplis zu schaffen“, erklärte Österreich-Ungarns Außenminister Ottokar Graf Czernin. Bereits am 15. Dezember schloss man ein Waffenstillstandsabkommen. Es galt zunächst für vier Wochen, während derer förmliche Friedensverhandlungen begonnen werden sollten.

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Den gesamten Artikel von Volker Ullrich aus DIE ZEIT Nr. 7 vom 8. Februar 2018 finden Sie hier: https://www.zeit.de/2018/07/friedensvertrag-von-brest-litowsk-deutsches-reich-russland/komplettansicht