Schöpferischer Rebell

Zum 100. Geburtstag von Erich Schairer

Artikel von Martin Hohnecker in der Stuttgarter Zeitung vom 5.10.1987

Als er 1919 wegen sozialistischer Gesinnung den Chefredakteursposten bei der Heilbronner „Neckar-Zeitung“ verloren hatte, gründete er sein eigenes Blatt: die pazifistisch-radikaldemokratische, jahrelang anzeigenabstinente „Sonntags-Zeitung“. Als ihn 1936 die Nationalsozialisten aus der Redaktion drängten, setzte er in eben dieses Journal ein Stellengesuch und schlug sich danach als Weinvertreter durch. Als der Krieg zu Ende war, fand er sich als Mitherausgeber der „Stuttgarter Zeitung“ im alten Beruf wieder und sorgte für klare Kommentare und reines Deutsch. Jetzt, da sich Erich Schairers Geburtstag zum hundertsten Male jährt, hat ihm die Heilbronner Stadtbücherei eine Ausstellung gewidmet: „1887 bis 1956, Leben und Werk eines Publizisten“ (siehe StZ vom 1. Oktober).

Will Schaber, einst Volontär bei der „Sonntags-Zeitung“, war aus New York angereist, um seinen ehemaligen Chef Schairer bei der Ausstellungseröffnung als „schöpferischen Rebellen“ zu charakterisieren: „Lieber katzennüchtern als pompös schreiben – von diesem Prinzip ging er nicht ab. Schlechter Stil, sagte er, ist das Ergebnis unscharfen Denkens.“

So hielt es Erich Schairer von 1946 bis 1954 mit den Redakteuren der „Stuttgarter Zeitung“, so verlangte er es auch von seinen ehemaligen Sonntagsblatt-Mitarbeitern. Im Heilbronner Deutschordenshof sind sie noch einmal in Wort und Bild präsent: Walther Rathenau und „Gevatter Blaich“ alias Dr. Owlglass, Josef Eberle, Hermann List und Hans Gerner, der Grafiker und Karikaturist. Dazu viel Persönliches: Schairer als Vikar und als Fahrdienstleiter am Bahnhof Lindau; viel Geschriebenes, vom Spottgedicht bis zum Leitartikel „Die Reinsburgstraße“, der einst viele Stuttgarter Bürger aufgeregt hatte; viele Erinnerungen an Freunde und Mitstreiter: Friedrich Naumann, Theodor Heuss, Reinhold Nägele. Und natürlich Schairers sprachliche Vermahnungen: „Man hüte sich vor Übertreibungen und Superlativen…“

Mehr als vierhundert Objekte hat Büchereidirektor Hans Ulrich Eberle für seine bisher umfangreichste Ausstellung zusammengetragen. Dieses Mosaik zeigt nicht nur die Konturen eines Zeitungsmannes. Es gewährt Einblick in die württembergische Publizistik zwischen 1920 und 1960 und Schairers Anteil daran. Aufrechter journalistischer Gang: hier kann er besichtigt werden.

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Die Dokumentation zur Ausstellung in der Stadtbücherei Heilbronn vom 2. bis zum 31. Oktober 1987 finden Sie >hier.