Sie sind dabei

— Jg. 1927, Nr. 13 —

Am 13. März war Volkstrauertag. Wie sieht das aus, wenn man’s in den Illustrierten beschaut? So:

Berlin. Platz der Republik. Siegessäule. Davor vierzehn Reichswehrsoldaten im Stahlhelm; jeder trägt eine Fahne. Rechts und links von ihnen ein Offizier mit gezogenem Speckmesser und übertrieben breechigen Breeches. Daneben eine Reichswehrmusik, die in die Blechinstrumente bläst. Ferner — man sieht’s nicht; aber man weiß es, denn ohne das geht’s nicht — zweifellos die uns allen so wohlbekannte feldgraue Front mit gestreckten Hammelbeinen, präsentiertem Gewehr (oder gibt’s das nicht mehr?) und mit: Nase rechts!

Denn einherschreitet vor der Front unser Hindenburg, wie er viele Jahre lang immer wieder an Fronten entlanggeschritten ist. Ein paar Wochen, Tage, Stunden später: da waren die, die dort gestanden waren, keine Fronten mehr. Sie waren, hm . . . verbraucht. Dafür standen dort, wo er vorbeischritt, andere stramm.

Tja, so war das bei uns. So ist das bei uns; noch heute. Nur daß er jetzt einen Gehrock anhat. Am Übrigen hat sich nichts geändert. Hinter den Soldaten ist ein freier Raum, auf dem der Verkehr gesperrt ist. Des nötigen Abstands wegen. Dann kommt das Volk, aber davor stehen erst noch ein paar Schutzleute. Symbolisch, sehr symbolisch: der Präsident des deutschen Volksstaats und sein Volk — sie können nicht zueinander kommen; zwischen ihnen steht das Militär und die Polizei.

Aber denen, die dort unter der Siegessäule kleben, geschieht das im Grunde ganz recht. Denn, seht sie nur an, da stehen sie, barhaupt, in der steifen, unbehaglichen Sonntagsmontur, den Hut in der Hand, und bibbern vor Ergriffenheit, weil sie Hindenburgen sehn vor seinen Soldaten rumspazieren. Und das Herzchen klopft ihnen: unsere herrliche Wehr! der Gott, der Eisen wachsen ließ! jeder Schuß ein Ruß und Gott strafe England! Sie erbeben vor Rührung über den historischen Moment, und keiner denkt an die, die draußen brüllend ihr bißchen Leben mit Blut und Magensaft in den russischen Waldboden gespien haben, grün, gedunsen und mit zerfressenen Geweben im Kalk der Champagne verendet sind. Sie fühlen nur den Moment, nur den Moment, der da mit Blasmusikbegleitung vorgefilmt wird, bei dem sie selbst mitfilmen dürfen. Und das stolze Bewußtsein: ich bin dabei! macht sie glücklich.

Ja, ihr seid dabei. Und das nächstemal werdet ihr auch dabei sein. Dann wärt ihr allerdings lieber anderswo. Das könnte für uns alte Muskoten die einzige Genugtuung sein, eine vollkommen genügende allerdings, wenn’s uns um Genugtuungen zu tun wäre: daß das nächstemal nicht nur wir dabei sein werden, sondern auch ihr, ihr alle: Sextaner, höhere Tochter, Biedermann und Familienvater, wie ihr da rum steht. Hintennach, leider, werden wir keine Gelegenheit mehr haben, Hindenburg an Volkstrauertagen Paradekompagnien abschreiten zu sehen. Schade, nich?

1927, 13 Klux