Undeutsch

— Jg. 1927, Nr. 39 —

Die Werkbundsiedlung auf dem Weißenhof bei Stuttgart ist das Entsetzen aller derer, die etwas ablehnen, weil es anders ist als sie es gewohnt sind. Häuser ohne Dach! Wände ohne Tapeten! Möbel ohne Verzierungen! Nein, das frißt der brave Bürger nicht.

Da ja auch niemand von ihm verlangt, daß er von morgen ab in einem Haus von Le Corbusier wohnen solle, so hat diese Entrüstung des Publikums weiter nichts zu bedeuten. Aber es gibt auch Leute, die sich etwas ernsthafter aufregen, weil sie ihre Interessen bedroht sehen: die Dachziegelindustriellen, die Tapetenfabrikanten, die Möbelfabrikanten. Sie protestieren aus voller Brust gegen das Neue, das keine Rücksicht auf ihr Absatzbedürfnis nimmt. Und sie begründen ihren Einspruch damit, daß dieser Stil, den der Werkbund da propagiere, undeutsch sei.

Da haben wir’s also wieder. Wenn irgend eine Gruppe von Interessenten in Deutschland ihren Profit von einer Geistesrichtung, die ihr deshalb nicht paßt, bedroht sieht, dann wallt auf einmal das treudeutsche Herz. Hat man es schon erlebt, daß so ein patentierter Deutscher sagt: ich bin dafür, obwohl ich daran nichts verdiene? Oder: ich bin dagegen, obwohl ich dabei verdienen würde? Oder auch nur ehrlich und offen: ich bin dagegen, weil ich dabei nichts verdiene? Nein, man ist gegen etwas, weil es „undeutsch“ ist.

Wenn die Arbeiter sich international verabreden, weil sie nur so gegen ihre international verbrüderten Ausbeuter aufkommen können, dann sind sie vaterlandslose Gesellen, die kein nationales Empfinden haben. Wenn vernünftige, rechtlich denkende Menschen gegen den Wahnsinn und die Gemeinheit der Massenschlächterei, genannt Krieg, ihre Stimme erheben, dann behaupten die Kanonen-, Pulver- und Giftgasfabrikanten und ihre Vettern, die Generäle, das seien Vaterlandsverräter. Bierbrauer finden es undeutsch, wenn man kein Bier trinkt. Hutfabrikanten, wenn man barhaupt geht. Warum nicht auch Metzger, wenn einer kein Fleisch ißt? Oder vielleicht Regenschirmhändler, wenn es nicht regnet?

Die Welt wird offenbar immer undeutscher. Ob es am Ende gar noch so weit kommen wird, daß man mit seinem Deutschtum in Deutschland nichts verdienen kann?

Dann wüßte man wahrscheinlich überhaupt nicht mehr, was eigentlich deutsch ist. Bis jetzt heißt deutsch sein bekanntlich: eine Sache um ihrer selbst willen tun.

Das Wort stammt von Paul de Lagarde. Einem echten Deutschen, was schon daraus hervorgeht, daß er sich so einen schönen französischen Namen zugelegt hat.

1927, 39 Sch.