Wie finden Sie das?

Der Mädchenhändler

— Jg. 1928, Nr. 46 —

Fritz Lang, der Regisseur des „Metropolis“-Films und anderer ebenso monumentaler wie kitschiger Zelluloidstreifen, entdeckt eine junge Schauspielerin, Fräulein Dyers. Er verpflichtet sie vertraglich auf sechs Jahre und sichert ihr eine von Jahr zu Jahr steigende Gage zu (gegenwärtig 1500 Mark monatlich). Fräulein Dyers spielt, mit Erfolg, aber nur einmal unter Fritz Lang. Sonst bei anderen Filmgesellschaften. Fritz Lang vermietet sie nämlich; der Vertrag gibt ihm das Recht dazu.

Wie finden Sie das? Aber warten Sie noch einen Augenblick! Er vermietet sie nämlich nicht zum Selbstkostenpreis, sondern verlangt von den Gesellschaften, an die er Fräulein Dyers ausleiht, das Sieben- und Achtfache dessen, was er ihr als Gage zahlt. An diesem „Mädchenhandel“ hat er in einem Jahr rund und nett 20 000 Mark verdient.

Nun sagen Sie: wie finden Sie das? Ich bin ganz Ihrer Meinung: das ist abscheulich, ja . . . ach, die Worte fehlen einem. Das Gericht, vor das Fräulein Dyers endlich gegangen ist, hat auch gedacht wie Sie und den Vertrag zwischen Fritz Lang und Fräulein Dyers als gegen die guten Sitten verstoßend für ungültig erklärt.

Das ist also soweit in Ordnung. Aber nun hören Sie zu: In Ihrer Wohnung ist ein Rohr der Wasserspülung beschädigt. Sie eilen ans Telefon und lassen von einem Installationsgeschäft einen Arbeiter kommen. Wenn er das Rohr geflickt hat, überreicht er Ihnen eine Rechnung, auf der seine Arbeitsstunde mit 1,50 Mark berechnet wird. Er selbst bekommt aber von seinem Unternehmer nur 70 Pfennig.

Nun sagen Sie: wie finden Sie das? Ganz in Ordnung? Ich weiß doch nicht. Aber gehen wir zu etwas anderem über.

Hundert Arbeiter machen aus Eisen, Blech, Holz, Leder usw. Automobile. Ihr Unternehmer kauft die Rohmaterialien um 1 Million Mark ein und verkauft die fertigen Automobile um 3 Millionen Mark. Nach Abzug aller Unkosten (abgesehen von den Löhnen) hat er einen Gewinn von 1 Million Mark. Gibt er nun diese Million seinen Arbeitern als Lohn? O nein, nur einen Teil; und den andern Teil behält er für sich. (Wenn das Unternehmen eine Aktiengesellschaft ist, wird das Geld den Aktionären als Dividende ausbezahlt.) Und nun reden Sie: wie finden Sie das?

„Aber Herr Hagel. Sie haben heute einmal spassige Manieren! Ich finde es ganz richtig, daß der Inhaber des Installationsgeschäftes und der Automobil-Fabrikant auch etwas verdienen. Die geben doch ihr Kapital her, ohne das die Arbeiter gar nicht arbeiten könnten. Stellen Sie sich einmal vor, der Installationsarbeiter wäre nicht in einem Geschäft angestellt! Der könnte lange suchen, bis er ein geplatztes Rohr fände, bei dessen Reparierung er Geld verdienen kann.“

Schön, Verehrter, aber jetzt seien Sie bitte einmal konsequent. Mit dem selben Recht kann Fritz Lang sagen, ohne ihn würde Fräulein Dyers gar nicht beim Film arbeiten und 1 500 Mark im Monat verdienen, sondern sie wäre noch Tippfräulein oder anderes in Wien mit 200 Schilling Monatsgehalt. Er habe sie entdeckt, ihr Arbeit und Ruhm verschafft, er habe auch das Recht, an der Arbeit, die sie bei andern Gesellschaften leiste, Geld zu verdienen. Das sei recht und billig. Außerdem brauche er das Geld als „Kapital“ bei seinem „Geschäft“, sonst könnte er nicht andere junge Talente entdecken und ausbilden. Es ist aufs Haar genau der gleiche Fall wie der des Installationsarbeiters. Und im Grunde ist die Lage der hundert Arbeiter der Automobilfabrik auch nicht anders.

Aber Sie empfinden die Behandlung von Fräulein Dyers als Unrecht, die der Arbeiter dagegen nicht. Wissen Sie, woher das kommt? Weil Fräulein Dyers zwei schöne Augen und zwei schlanke Beine hat und weil ihr die Schönheit eine Art von Monopol verleiht. Die Arbeiter aber stehen seit vielen Jahrzehnten ohne Monopol (es gibt ja ein paar Millionen zu viel) dem Monopol der Unternehmer (Kapital, Boden, Arbeitsgelegenheit) machtlos gegenüber; sie werden deshalb seit langem ausgebeutet, und das sind Sie so gewöhnt, daß Sie es gar nicht mehr als Unrecht empfinden.

„Ich darf doch mit einem Regenschirm . . .“

Die Eisenindustriellen, die jetzt, da Wilhelm es nicht mehr tun kann, auf Schiedsgerichte sch . . ., ihre Fabriktore zumachen, das Erz ungenützt im Boden lassen und 200 000 Arbeiterfamilien den Verdienst nehmen, gehören einfach enteignet.

„Na hören Sie mal, Herr Hagel, Sie sind ja der reinste Bolschewist. Die Fabriken und die Hütten gehören nun einmal den Unternehmern, da können Sie ihnen nicht einfach vorschreiben, was sie mit ihrem Eigentum tun dürfen und was nicht. Ich darf doch mit einem Regenschirm, der mir gehört, auch anfangen, was ich will.“

Da befinden Sie sich in einem Irrtum, Verehrter. Sie können Ihren Regenschirm zwar bei Sonnenschein spazierentragen, aber Sie dürfen ihn nicht Ihrem Nachbar in den Bauch rennen und dann aufspannen. Sonst bekommen Sie’s mit der Polizei zu tun. Denn dazu ist der Regenschirm nicht da. Und die Erze im Boden sind nicht dazu da, daß man sie den Arbeitswilligen sperrt und dadurch der Allgemeinheit schadet. Das ist Mißbrauch, der gestraft gehört. „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das gemeine Beste.“ So heißt es in Artikel 153 der Weimarer Verfassung.

Darf der Staat stehlen?

Die pietätlosen Bolschewisten haben nicht nur Kohlengruben und Ölfelder enteignet, sondern auch wertvolle Kunstgegenstände entschädigungslos aus Privatbesitz in staatliche Museen übernommen. Und nun versteigert der Sowjetstaat einige Stücke seiner reichhaltigen Sammlungen im Auktionshaus Lepke in Berlin. Wie finden Sie das? Recht oder Unrecht?

Nun, ein russischer Fürst hat etwas anderes gefunden: nämlich unter den zur Versteigerung ausgestellten Gegenständen ein paar, die einst ihm gehört haben. „Gestohlen!“ sagt er entrüstet, geht vor ein deutsches Gericht und erreicht, daß die Gegenstände „einem Gerichtsvollzieher zwecks Sicherstellung“ herausgegeben werden müssen und also nicht versteigert werden dürfen. Wie finden Sie das?

Ich finde es zum mindesten inkonsequent. Denn das Öl, das wir von Rußland kaufen, ist auch „gestohlen“, ebenso das Getreide, das Platin, die Wolle usw., außerdem stammt das Geld, das eine deutsche Fabrik von Sowjetrußland für Lieferung von Maschinen erhält, auch aus „Diebstahl“.

Aha, Sie finden, es sei ein Unterschied, ob der Staat Bodenschätze, die der Allgemeinheit nützen sollen, „stehle“, oder ein wertvolles Bild. Aber die Bolschewisten werden Ihnen entgegnen, das Bild nütze dem Volk viel mehr, wenn es in einem öffentlichen Museum hänge, als wenn es nur wenigen Besuchern zugänglich sei. Und wenn der Staat jetzt diese Bilder verkaufe und von dem Erlös in Moskau ein Kinderheim oder eine Textilfabrik baue, dann könne die Allgemeinheit gar nichts dagegen einwenden.

Die deutschen Gerichte scheinen aber da Bedenken zu haben, obgleich sie doch zugeben müßten, daß auch der deutsche Staat täglich zum Wohle der Allgemeinheit „stiehlt“. Er „stiehlt“ Ihnen z. B. jeden Monat 10 Prozent Ihres Einkommens und sagt, er brauche das Geld, um zu verhindern, daß Ihnen irgend ein Gauner den Rest stiehlt, oder um gute Straßen für den Buick des Herrn Thyssen zu bauen. Sie lassen sich das ruhig gefallen, obgleich Sie sogar wissen, daß Ihre Steuern oft nicht der Allgemeinheit zugutekommen, sondern denen, die dem Herzen bzw. Geldbeutel des Staates am nächsten stehen. Sie empfinden das zwar als Unrecht, aber Sie sind durchaus nicht so empört darüber, daß Sie sich dadurch auch nur im geringsten in Ihrer täglichen Arbeit stören ließen. Ja, es gibt Leute, die nehmen davon gar keine Notiz, debattieren jetzt aber, unter Assistenz der Hugenberg-Blätter, erregt über die Frage: „Finden Sie, daß Lepke sich richtig verhält?“

Sehen Sie, so inkonsequent sind unsere Anschauungen über Recht und Unrecht, so verworren unsere Begriffe von Eigentum und Diebstahl.

1928, 46 Jan Hagel