Winterschlaf

— Jg. 1930, Nr. 49 —

„Professor Pötzl in Wien ist es gelungen, den Menschen in künstlichen Winterschlaf zu versetzen.“ (Zeitungsmeldung)

„Alma“, sagte ich zu meiner Frau, „wie wär’s, wenn du dir das neue Kleid aus dem Sinn schlügst? Wir kommen viel billiger weg, wenn wir uns pötzln lassen.“

„Und wenn inzwischen das Dritte Reich ausbricht?“ fragte sie, sie ist nämlich streng völkisch.

„Eben drum!“ meinte ich. „Solln wir uns abrackern, um uns in dieser verjudeten Republik über Wasser, beziehungsweise Eis zu halten, bis der große Morgen tagt? Das können wir doch viel angenehmer haben: wir legen uns winterschlafen, und wenn wir wieder aufwachen, ist’s Frühling, die Sonne scheint, von allen Kirchtürmen leuchten die Hakenkreuze, und an den Landstraßen hängen die Juden und andere Vaterlandsbeziehungsweise Rassenverräter, Baum um Baum. Wie wonnig wird uns sein, mein Herz, wenn so der Deutsche Lenz uns anlacht!“

„Und du sitzest auf dem Trockenen“, rief Alma. „Wie willst du im Dritten Reich einen Posten bekommen, wenn du nicht von Anfang an dabei bist? Jetzt hast du Aussichten; du weißt, daß dir der Portier versprochen hat, bei seinem Neffen, dem Gymnasiasten, ein gutes Wort für dich einzulegen, damit er sein Mädel bittet, ihren Bräutigam, den Chef der Befreiungsdivision Oberbayern, was für dich tun zu lassen. Du kannst am Morgen nach dem Umsturz glatt Hoffilosof bei Hitler selbst werden, wenn du es geschickt anfängst.“

„Alma“, sagte ich, „die Stelle läuft mir nicht davon. Ich bin doch gut Freund mit dem Herrn Krotoschiner, dem Führer der Sturmstaffel Treuenbrietzen, der wird die Sache schon schmeißen. Auf den ist Verlaß, was der anpackt, das wird was. Man muß sich immer an die Juden halten, wenn man seiner Sache sicher sein will; was die in die Hand nehmen, ist in Ordnung. Krotoschiner wird die Sache schon schmeißen. Na, was meinst du dazu?“

„Gemacht!“ sagte Alma, und wir bestellten uns den Professor Pötzl.

Er sandte uns einen seiner Mitarbeiter, der ließ sich vorausbezahlen, stellte ein rotierendes Hakenkreuz vor uns auf und murmelte einen monotonen Singsang, der zur Hälfte aus dem Muspilli, zur Hälfte aus der Kabbala stammte, dazu schlug er unaufhörlich das Hakenkreuz und machte priesterliche Verbeugungen in der Richtung gen Walhall. Wir schauten eine halbe Stunde stier in die rotierende Swastika und ließen das arische Geseires des Einschläferers in uns hinabrieseln wie teutschen Wein dann waren wir eingeschlafen.

Und so liegen wir denn nun im friedlichen Winterschlaf, brauchen weder Brot noch Geld, weder Licht noch Kohlen noch Gas, und träumen mit seligem Lächeln um die deutschen Lippen dem Morgen der Befreiung entgegen, an dem es durch alle Boulevardblätter rauschen, durch alle Straßen hallen wird: „Deutschland erwache, Juda verrecke!“ Das walte Wotan!

1930, 49 Mara Bu

Die Symbol-Krawatte. Es gibt, falls Sie das noch nicht wissen sollten, auch Hakenkreuz-Krawatten. Inserate im „Völkischen Beobachter“ verkunden: „Kaufen Sie nur von rein nationalsozialistischem Betrieb Qualitätskrawatten mit fein eingewebtem Symbol…“ — Das Hauptsymbol liegt wohl darin, daß sich der Arbeiter mit solcher Krawatte selbst den Hals zuzieht.

1932, 36