Rundfunkwahlen

— Jg. 1933, Nr. 11 —

Der 5. März hat der nationalsozialistischen Partei und damit der Regierung Hitler einen Sieg von unerwartetem Ausmaß gebracht. Im Reich und in Preußen sind die 51 Prozent Mehrheit nicht nur erreicht, sondern überboten, und zwar nahezu ausschließlich durch den ungeheuren Stimmenzuwachs der Nationalsozialisten. Diese haben, rechnerisch betrachtet, nicht nur 3,8 Millionen seitherige Nichtwähler für sich mobil gemacht, sondern auch noch beinahe 2 Millionen Wähler aus anderen Lagern zu sich herübergezogen; und zwar nicht nur aus dem „nationalen“ Reservoir, sondern offenbar auch erhebliche Scharen aus den Quellgebieten des Zentrums, der Sozialdemokratie und der kommunistischen Partei.

Dieser fabelhafte Erfolg ist ohne Zweifel in erster Linie der Propaganda durch den Rundfunk zuzuschreiben, die in solchem Ausmaß und mit solcher Stärke noch nie von einer Partei betrieben worden ist und hat betrieben werden können. Hitlers Wahlreden sind diesmal auch im kleinsten Dorf, vor Menschen, die sozusagen jungfräulicher Boden waren, zur vollen Wirkung gekommen; Ereignisse wie die Durchsuchung des Liebknecht-Hauses und der Reichstagsbrand mit ihren Folgen und Folgerungen konnten hundertprozentig ausgeschlachtet werden; und dazu kam die völlige Ausschaltung eines großen Teils der gegnerischen Presse, vor allem in Norddeutschland.

Von links ist im Wahlkampf mit Argumenten operiert worden, die angesichts der in breiten Schichten erzeugten Stimmung unbedingt versagen mußten.

Man fragte, wo denn das Programm sei, mit dem die neue Regierung Deutschland retten wolle. Ein solches Programm war in Einzelheiten nicht vorhanden; aber sein Fehlen hat wahrscheinlich den Regierungsparteien eher genützt als geschadet. Auf diese Weise war nämlich jeder kritischen Debatte über Konkretes der Boden entzogen. Der Glaube an den Willen der Regierung trat an die Stelle einer zweifelhaften Einsicht in die Richtigkeit ihrer Pläne, und jener Glaube erwies sich dabei als die weit stärkere Triebfeder. Das Volk sah Männer vor sich, die jedenfalls an dem Willen, sich durchzusetzen, nicht zweifeln ließen, und solchen zu folgen ist die Masse noch immer geneigt gewesen.

Wo um die politische Macht gekämpft wird, ist der Wille entscheidend, nicht der Intellekt, dessen Rolle ja schon der alte Oxenstjerna nicht allzuhoch eingeschätzt hat. Die Schwäche der deutschen Linken, die sich jetzt mit so schmerzlicher Deutlichkeit geoffenbart hat, liegt eben zum guten Teil darin, daß in ihr zu wenig Wille mit zu viel Intelligenz gepaart ist.

Daß die Regierung vor der Wahl Meinungsfreiheit und andere bürgerliche Freiheiten beschränkt hat, dieser andere von der linksstehenden Presse so stark betonte Vorwurf, hat ihr ebenfalls im Wahlkampf nicht sehr viel geschadet. Heutzutage kümmert sich der einfache Mann (und die einfache Frau!}, namentlich auf dem Lande, nicht allzuviel um diese Freiheiten. Wer nichts zu nagen und zu beißen hat, dem stehen die demokratischen Grundrechte nicht im Mittelpunkt des Interesses. Sein Denken kreist um das tägliche Brot, und wer ihn auf irgend eine Weise zu überzeugen vermag, er werde dafür sorgen, daß ihm dieses künftig besser zugemessen werde, der ist sein Mann, auch wenn er Zeitungen verbietet und Versammlungen auflöst.

Der Sieg des Hakenkreuzes in Deutschland am 5. März ist der Sieg einer unerhört geschickten und stark auftragenden Propaganda. Wenn jetzt, wie man hört, für einen der Hauptregissöre des nationalsozialistischen Wahlfeldzugs, Herrn Goebbels, ein besonderes Propaganda-Ministerium geschaffen werden soll, so wäre das ein sinnfälliger Beweis dafür, welche Bedeutung von der Regierung selber einem von ihr so virtuos gehandhabten Instrument beigemessen wird.

1933, 11 · Erich Schairer