Sturz in den Ruin

SPIEGEL SPECIAL Geschichte 1/2008

Im Oktober 1929 riss die Finanzkrise an der Wall Street die Weltwirtschaft in den Abgrund. Die Weimarer Republik traf der Schock schwer. Doch erst die Deflationspolitik der Regierung Brüning wurde Deutschland zum Verhängnis – und ebnete Adolf Hitler den Weg.

Schon der Morgen war anders als alle Tage, die Winston Churchill bisher erlebt hatte. Der spätere Premierminister Seiner Majestät, der auf einer Amerika-Reise in New York Station gemacht hatte, schaute von seinem Zimmer im Luxushotel Savoy-Plaza hinaus auf die Fifth Avenue. Dort drängten sich die Passanten, Feuerwehrleute eilten herbei, doch sie waren zu spät gekommen.

„Direkt unter meinem Fenster hatte sich ein Gentleman 15 Stockwerke in die Tiefe gestürzt“, berichtete Churchill von der Begebenheit in der Frühe des 25. Oktober 1929. Der Mann, der an diesem Freitag in den Tod sprang, gehörte zu den Unglücklichen, die erst ihr Vermögen verloren hatten und dann die Nerven.Später folgte Churchill einer Einladung an die Wall Street. Er nahm auf der Besuchertribüne der Börse Platz, dort machte er seine zweite Grenzerfahrung an diesem Tag. Er wurde Zeuge einer Finanzkrise, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte.

Die Kurse fielen und fielen und fielen, der Ticker ratterte ohne Unterlass, das Papierband konnte die Notierungen gar nicht so schnell ausspucken, wie sie sanken. Ratlos standen die Händler auf dem Parkett, sie sahen aus „wie die Zeitlupenaufnahme eines aufgeschreckten Ameisenhaufens“, beschrieb Churchill, was er von der Empore beobachten konnte.

Am Tag zuvor war die Verkaufswelle ins Rollen gekommen. Erst verloren nur einzelne Papiere kräftig an Wert, dann schwoll die Bewegung zu einer Massenflucht an. Jeder Händler wollte nur noch raus aus dem Markt, egal zu welchem Preis.

Am Montag setzte sich der Verfall fort, am Dienstag sackten die Kurse ins Bodenlose: Rund 16,4 Millionen Aktien wurden an diesem Tag verramscht, ein Rekord, der fast 40 Jahre hielt. Existenzen wurden vernichtet, Träume waren zerplatzt. Das meiste dessen, was in den Jahren zuvor an Papiervermögen aufgetürmt worden war, hatte der Sturm an der Wall Street fortgeweht.

„Wenige Menschen verloren jemals so rapide an Ansehen“, resümierte später der Ökonom John Kenneth Galbraith, „wie die Bankleute von New York in den fünf Tagen vom 24. bis zum 29. Oktober.“

Einen Tag später endete Churchills Besuch in den USA, der Staatsmann nahm das Schiff zurück nach England. Es war gleichsam der Aufbruch in eine andere Zeit.Der Börsenkrach von 1929 war der Auftakt zur ersten Weltwirtschaftskrise, die tatsächlich diesen Namen verdient; ihre Ausläufer waren bis nach Japan und Australien zu spüren. Sie hat nicht nur zahllose Menschen und Unternehmen ruiniert, sie hat die Weltläufte verändert – und ganz besonders das Geschehen in Deutschland. Das „Dritte Reich“, der Zweite Weltkrieg, die Teilung des Landes: All das wäre ohne die globale Wirtschaftskrise nicht denkbar gewesen.

Den vollständigen Artikel von Alexander Jung finden Sie hier: https://www.spiegel.de/spiegel/spiegelspecialgeschichte/d-55573686.html