Zum 50. Geburtstag von Josef Eberle

[08.09.1951] Es muß Anfang 1926 gewesen sein, als ich in meinem Postfach einmal einen Brief an die „Sonntagszeitung“ aus Leipzig fand, mit einer netten, kleinen, gedrängten Schrift, die mir sogleich gefiel. Ein junger Buchhandlungsgehilfe namens Josef Eberle bot ein Manuskript an. Ich sah sofort, daß er etwas konnte, was wenigen Schriftstellern gegönnt ist: die sogenannte kleine Form. Von da an war Tyll, so hieß Eberles Deckname, Mitarbeiter meiner „Sonntagszeitung“. Bald stellte es sich heraus, daß er es auch verstand, sich in Versen auszudrücken. Am 2. Mai 1926 erschien als erstes Gedicht Tylls eine „Ode an die Dummheit“, die ich heute noch auswendig kann, und deren erste Strophe mir, offen gestanden, manchmal einfällt:

„Laß mich um deinen Sockel Kränze winden
aus Immortellen und aus Immergrün.
Nie wird die Allmacht deines Thrones schwinden,
und deiner Hand das Zepter zu entwinden
ist heißes, doch vergebliches Bemühn.“

Im Spätsommer 1926 sahen wir uns dann zum erstenmal, als Tyll mich auf meiner Redaktionsstube im dritten Stock von Lange Straße 18 in Stuttgart besuchte. Er wurde in unseren nunmehr 4 Personen bestehenden Ringelnatz-Klub aufgenommen, der bei seinem Mitglied Willy Widmann in der „Elsässer Taverne“ zu tagen pflegte, mit oder ohne Ringelnatz; und eines Tages kam Eberle-Tyll dabei auch mit einem anderen Mitarbeiter der „Sonntagszeitung“, meinem alten Freund Dr. Owlglass vom Simplizissimus, zusammen, dem er in mancher Beziehung geistesverwandt war. Daß ich die Verbindung zwischen den beiden habe herstellen können, freut mich heute noch ebensosehr wie das Bewußtsein, den Schriftsteller und Dichter Eberle vor fünfundzwanzig Jahren sozusagen entdeckt zu haben. Ob ich behaupten kann, daß ich ihn wesentlich gefördert hätte, weiß ich nicht. Große Honorare konnte die „Sonntagszeitung“ nicht zahlen. Im Grunde war damals wahrscheinlich mehr er der Gebende, obwohl er zeitweise im Dichten etwas faul war.

Von einem Pariser Aufenthalt im Jahre 1927, den er eigentlich als Berichterstatter der „Sonntagszeitung“ genommen hatte, hat er z. B. außer Briefen um Geld keine Zeile geschrieben. Aber dann brachte wieder jede Nummer etwas von Tyll, und die steigende Auflage bewies, daß seine zeitkritischen und satirischen Produkte den Lesern ebensoviel Vergnügen machten wie mir selber. Es sind prächtige Sachen darunter, die übrigens zum Teil heute wieder aktuell sind. Ein Sammelbändchen „Mild und bekömmlich“ ist 1928 erschienen und wahrscheinlich große Rarität, denn im Dritten Reich durfte man so etwas nicht haben. Schon im zweiten war es ja nicht ganz ungefährlich, eine Feder zu führen, die den herrschenden Mächten, siehe „Ode an die Dummheit“, so keck entgegentrat; und trotzdem sind wir damals nur ein einzigesmal vor Gericht gestanden — es war die Sache mit dem Holzkopf — und mit 50 Mark davongekommen.

Heute, nach beiderseits überstandenem Hitler, sind wir nun wieder beieinander und versuchen, mit wenigen Worten gesagt, verhindern zu helfen, daß er wieder kommt.

Gesprochen im Süddeutschen Rundfunk am 8. 9. 1951

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