Durchs Fegefeuer

— Jg. 1920, Nr. 42 —

Die sozialistische Wirtschaft, heißt es, wird für den Bedarf produzieren, nicht für den Markt. Sie wird planmäßig und gleichmäßig ablaufen, nicht chaotisch und ruckweise. Nicht der beliebige Einzelne, weder als Unternehmer noch als Händler noch als Kunde, wird in ihr das Wort haben, wenn er nur drei Häuser weiter schreien kann als sein Nachbar; sondern der oder die Verantwortlichen werden ihm das Wort erteilen, und zwar nicht auf Grund seiner Stimmbänderleistung.

Das ist Revolution, man mag sich den Weg dazu noch so lang, krumm und „evolutionär“ vorstellen. Und die siegreichen Stimmgewaltigen auf der Kirchweihrauferei unserer bisherigen Wirtschaft wollen deshalb nichts davon wissen; während die Nur-Konsumenten, auf deren Nasen der wilde Tanz sich bisher abspielt und die die Musik und die Zeche bezahlen dürfen, schon eher mit einer Ordnung und Schlichtung des Durcheinanders zufrieden wären. Auch die scheinbar unbeteiligten dienstbaren Kräfte, deren sich die Handelnden bedienen, die Arbeiter, sind einverstanden — was sage ich: einverstanden? — sie sind es ja, die von jeher vom Sozialismus gerade das Paradies statt der Hölle, die Ruhe statt der Hetze, die Würde statt der Mißachtung (Demagogen sagen: den Genuß statt der Mühe) erwarten.

In den vereinigten sozialpolitischen und wirtschaftspolitischen Ausschüssen des Reichswirtschaftsrates ist kürzlich ein Antrag Baltrusch (Arbeitnehmervertreter) eingegangen, der fordert, daß „Arbeit und Kapital nicht mehr zur Erzeugung von wirtschaftlich nicht notwendigen Waren, sondern zu Gunsten des Exports und des notwendigen Inlandsbedarfs verwendet werden sollen“.

Donnerwetter, sagte man sich, da haben wir ja wieder die ominöse Wissell-Moellendorff’sche Planwirtschaft, die vor einem Jahr von den Unternehmern verabscheut und von den Arbeitern nicht begriffen worden ist! Habt ihr euch besonnen, Arbeiter? Schön, also kann die Geschichte losgehen, denn ihr seid doch heute noch immer mächtig genug, euch durchzusetzen?

Aber gemach: gleich meldet sich die bittere Skepsis. Hast du, Baltrusch, gewußt, was deine resolute „Resolution“ bedeutet?

Auch für die Arbeiter bedeutet, die nämlich bei der Umstellung zur Gemeinwirtschaft nicht so ganz unbeteiligt sind, daß ihnen die Aktion kein Kopfzerbrechen zu machen brauchte. Sie sind sogar sehr unangenehm passiv beteiligt. Wenn Kollege Baltrusch konjugiert: ich stelle um, so heißt das für den Kollegen Ixmüller: du wirst entlassen.

Ich erinnere mich an eine Versammlung von Berliner Buchdruckern, in der ich einmal über die Sozialisierung der Presse referiert habe. Ich wies die unsinnige Überproduktion an Zeitungen nach, die in Deutschland vorhanden ist, wo jedes Provinznest gleich drei, vier Dreckblätter haben muß. Ich wies auf England hin und behauptete, daß wir in Deutschland so gut wie dort mit 300 Tageszeitungen statt mit 3000 leben könnten. Man sollte den Zeitungsverlegern ihre melkende Kuh, derentwegen der ganze Blätterwald rausche, den Inseratenteil, entziehen und ihn besonderen öffentlich kontrollierten Anzeigenblättern vorbehalten. Dann würden die 3000 Zeitungen ganz gewiß bald auf die Hälfte, auf ein Drittel reduziert sein. Die Versammlung von Buchdruckern lauschte aufmerksam und spendete Beifall, wenn saftige Seitenhiebe auf den raffgierigen Unternehmer fielen. Aber als der Redner fertig war, standen nacheinander drei, vier Arbeiter auf und bedeuteten den Kollegen, man könne da nicht mitmachen, so schön der Gedanke des Referenten vielleicht sei, denn durch eine solche Regelung würden ja 50 Prozent der Buchdrucker arbeitslos, würden ihre Stellung verlieren, ihren Beruf vielleicht ganz aufgeben müssen.

Das ist der Haken bei der Geschichte, liebe Arbeiter. Ihr müßt wissen, was auch für euch eine Umstellung der Wirtschaft vom unwirtschaftlichen wilden Privatkapitalismus zur wirtschaftlichen Form der bewußt gelenkten, öffentlich kontrollierten Wirtschaft heißen will: Entsagung, Schwierigkeiten, Unbequemlichkeiten, Härten, vielleicht sogar Not, Sorge und Armut für eine nicht ganz kurze Übergangsperiode. Jede Etappe der Wirtschaftsentwicklung ist nicht bloß ein Steigen, sondern auch ein Stolpern gewesen. Erinnert euch der Handwerker, die von der Industrie samt ihrem ganzen Handwerk aufs Trockene gesetzt worden sind, oder der Arbeiter, die durch neue Maschinen an die Luft flogen. Selbstverständlich werden die frei werdenden Arbeitskräfte wieder aufgesogen werden, wenn die Gemeinwirtschaft die planlose Wirtschaft ablöst; und Geschick der Leitenden, guter Wille der Geleiteten wird es dahin bringen können, daß der Umlenkungsprozeß möglichst glatt, möglichst schmerzlos, möglichst rasch vollzogen wird. Aber ganz ohne Opfer wird es für euch Arbeiter nicht abgehen. Wenn operiert wird, muß Blut fließen. Wenn Fabriken geschlossen und Produktionen aufgegeben werden, dann werden zunächst Arbeiter brotlos oder wenigstens — was fast ebenso schlimm ist — beschäftigungslos. Sie müssen umlernen oder umziehen. Da ist nichts zu ändern.

Der Weg zum Sozialismus braucht vielleicht nicht durch die Hölle zu führen wie in Rußland, aber auf alle Fälle geht er durchs Fegefeuer. Ob wohl Baltrusch daran gedacht hat, als er seinen Antrag einbrachte? Und ob die Arbeitervertreter, die für ihn stimmten, alle wußten, was sie damit beschlossen? Ob schließlich die Wähler jener Arbeitervertreter wissen, was bei der etwaigen Durchführung (etwaigen! bitte, denn er ist ja lediglich „Material“ für die Regierung!) des Beschlusses ihrer wartet? Wenn es so wäre, dann wäre es gut, dann könnte die Umstellung zur Gemeinwirtschaft beginnen.

1920, 42 · Sch.