Ein Geheimplan für den Zweiten Weltkrieg

Wiederaufrüstung der Reichswehr in den Zwanzigerjahren

Bereits wenige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg plante die deutsche Reichswehr eine systematische Aufrüstung. Als Hitler den Zweiten Weltkrieg entfesselte, war die vorgesehene «Kriegsstärke» erreicht.

Wie konnte es einem besiegten Deutschland gelingen, nach der katastrophalen Niederlage im Ersten Weltkrieg, in nur zwei Jahrzehnten ein neues Heer aufzustellen, grösser als das Heer des Kaiserreiches? War der Angriffs- und Vernichtungskrieg der Wehrmacht das Finale einer seit Mitte der 1920er Jahre von der Reichswehrführung geplanten und vorbereiteten militärischen Revanche? Schon seit etwa 1970 bewiesen die Forschungen vor allem jüngerer Historiker, dass die Wiederaufrüstung insgeheim lange vor der «Machtergreifung» Hitlers begann.

Das Dokument jedoch, das die Planung eines Revanchekrieges seit Mitte der zwanziger Jahre klar beweist, wurde nicht bekannt. Erst die Wiederentdeckung des von General Hans von Seeckt, Chef der Heeresleitung der Reichswehr, im Jahre 1923 initiierten Dreistufenplanes für den Aufbau eines 102 Divisionen starken Heeres entlarvte die Führung der Reichswehr als eine Clique von Revanchisten, die hinter dem Rücken von Regierung und Parlament die systematische Aufrüstung der Reichswehr vorantrieben. Ziel der Reichswehrführung war es, Deutschland auf einen Angriffskrieg vorzubereiten. Die «Schande» des «Versailler Diktats» sollte ausgelöscht, verlorenes Gebiet zurückerobert und die Grossmachtstellung von 1914 wieder eingenommen werden.

Die 1997 im Militärarchiv in Freiburg im Breisgau aufgefundenen Dokumente mit dem Titel «WH 808 – Übersicht der Gesamtstärken und -ausrüstung der Kommandobehörden und Truppeneinheiten des Feldheeres», insgesamt vier Hefte mit einigen hundert Seiten, brachten eines der am besten gehüteten Geheimnisse der deutschen Militärgeschichte ans Tageslicht. In Verbindung mit Anfang der neunziger Jahre aus russischen Archiven freigegebenen Dokumenten über die geheime Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und Roter Armee widerlegten sie die These, die Reichswehr habe nichts weiter als die Landesverteidigung im Sinn gehabt und sei erst dann durch Hitler als ein Werkzeug seiner Gewaltherrschaft missbraucht worden. In den fast zeitgleichen Diskussionen um die Wehrmachtsausstellung (offizieller Titel: «Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944») wurde dies in der breiten Öffentlichkeit in Deutschland als untauglicher Versuch der Konstruktionsbildung einer «sauberen Wehrmacht» demaskiert.

Der Generalplan aus den zwanziger Jahren wird zur Grundlage sämtlicher Rüstungsprogramme bis Kriegsbeginn. Der Planungsstab der Reichswehr orientierte sich an ehrgeizigen Zielvorgaben: ein Heer mit 2,8 bis 3 Millionen Soldaten in 102 Divisionen, aufgeteilt in 39 Grenzschutzdivisionen und 63 Felddivisionen. Das Verblüffende an diesem geheimen Rüstungsplan war, dass das deutsche Heer am 1. September 1939 genau diese «Kriegsstärke» erreicht hatte – bis in die Details stimmten Grösse, Ausstattung und Aufgliederung der Wehrmacht Ende 1939 mit dem von 1923 bis 1925 erarbeiteten Generalplan überein.

Die Reichswehr hatte 42 Generale, für das grosse Heer waren 252 vorgesehen. Genauso viele Etatstellen für Generale wies auch das Feldheer 1939 auf. Acht Armeen hatte man 1925 projektiert – so viel wie zu Beginn des Ersten Weltkrieges –, und tatsächlich standen 1939 acht vollwertige Armeen bereit. Der Entwurf für diese Streitmacht wurde Mitte der zwanziger Jahre von sechs Majoren und zehn Hauptleuten erarbeitet. «Diese Arbeit war damals das Geheimste vom Geheimen», so beginnt ein Handschreiben, das Generalleutnant a. D. Walter Behschnitt 1960 im Bundesarchiv in Koblenz zurückliess, nachdem er dort die 1945 von den amerikanischen Streitkräften beschlagnahmte und inzwischen aus den USA zurückgekehrte Akte wiedergefunden hatte. Fünfunddreissig Jahre zuvor hatte er als junger Hauptmann in der Organisationsabteilung des Truppenamtes der Reichswehr gemeinsam mit anderen Offizieren dieses Planwerk erarbeitet.

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Den gesamten Artikel von Michael Berger in der Neuen Zürcher Zeitung vom 24.08.2014 finden Sie hier: https://www.nzz.ch/international/europa/ein-geheimplan-fuer-den-zweiten-weltkrieg-1.18368619

Siehe auch:https://www.n-tv.de/politik/Der-Weg-in-die-grosse-Katastrophe-article13517956.html

oder auch: https://www.zeit.de/1997/11/Der_grosse_Plan

oder hier: https://diepresse.com/home/meinung/debatte/506389/Die-Revanche-der-Generale