Sicherheit Vorbedingung

Während der letzten Monate sind bei uns eine ganze Anzahl Autoführer, die Verkehrsunfälle verschuldet hatten, zu harten Freiheitsstrafen verurteilt worden. Und vielleicht hat mancher Zeitungsleser sich darüber verwundert oder — je nach der Einstellung — die Verurteilten heimlich sogar bedauert. Aber mit Unrecht. Denn worum es sich hier handelt, das ist nur die deutsche Form eines Kampfes, der in andern Ländern seit langem schon zäh und zielbewußt durchgeführt wird und den man auf amerikanischem Boden unter das Leitwort „Safety first!“ (Sicherheit Vorbedingung) gestellt hat.

Daß Verkehrssünden Sünden gegen den Geist der Gemeinschaft sind, diese Einsicht soll und muß sich auch bei uns allmählich durchsetzen. Und gerade der Autofahrer, der sich nur allzu häufig bisher als unumschränkter Herr der Landstraße zu fühlen gewöhnt war, hat es nötig, sich mit Nachdruck daran erinnern zu lassen, daß Fußgänger und Radfahrer schließlich ebenfalls Menschen sind.

Besonders streng verfährt man, wie die Gerichtserkenntnisse lehren, gegenüber den Führern von Auto-Omnibussen, und auch das hat seine gewichtigen Gründe.

Je mehr Menschen dem Lenker eines Fahrzeuges unmittelbar anvertraut sind, um so größer ist offenbar ja seine Verantwortung. Und der Führer eines Omnibusses gleicht in dieser Hinsicht fast schon dem Leiter eines kleinen Staates, der all seine Kräfte und Fähigkeiten voll in den Dienst seines Landes zu stellen hat, ohne nach deutscher Auffassung wenigstens an die Befriedigung persönlichen Ehrgeizes zu denken.

Er darf nicht Rekorde erringen oder schlagen wollen, darf nicht darauf bedacht sein, es anderen, mit stärkerem Motor ausgestatteten Wagen um jeden Preis gleichzutun, darf nicht rücksichtslos überholen und dadurch die Gefahr eines Zusammenstoßes mit seinen unabsehbaren Folgen heraufbeschwören und darf erst recht natürlich nicht die für die Allgemeinheit gültigen Verkehrs- und Warnungszeichen mißachten, — in dem törichten Wahn, ein so großer Wagen wie der seine habe überall das Vorrecht. Sondern gerade weil der von ihm geführte Wagen größer als andere ist und mehr Insassen zählt als diese, hat er doppelt vorsichtig zu sein, wenn er nicht an einem Massenunglück schuldig werden will.

In gewisser Hinsicht ist er ohne Zweifel schlimmer daran als die Führer wendigerer Gefährte. Manche Straßen, besonders in kleineren Ortschaften, sind heute noch außerordentlich enge, und es bedarf großer Geschicklichkeit, einen auch nur einigermaßen umfänglichen Omnibus ohne Anstoß durch sie hindurchzusteuern. Und gerade an solchen gefährlichen Stellen sieht man die Fahrer oftmals doch ein Tempo einschlagen, daß einem vom bloßen Anblick schon angst und bange werden kann.

Ähnlich aber verhält es sich mit den bei dem bestehenden Straßensystem leider nicht seltenen unübersichtlichen Strecken der Fahrbahn. Wer auf ihnen nur danach trachtet, wie er „aufholen“ und womöglich den Fahrplan um ein paar Minuten verbessern kann, der handelt geradezu gewissenlos und sollte die längste Zeit Omnibusführer gewesen sein.

Zumeist merken die Insassen des Omnibusses gar nichts davon, wenn in solcher Weise mit ihrem Leben und ihrer Gesundheit gespielt wird. Oder sofern sie es merken, sind sie wohl gar verblendet genug, ihrem Führer die Stange zu halten, ja ihn in seiner fahrlässigen und leichtfertigen Handlungsweise noch zu bestärken, sei es, daß es ihnen wirklich besonders eilt, sei es, daß sie nur einfach von dem besessen sind, was man sehr richtig den Autofimmel genannt hat. Und derartige Fahrgäste trifft, wenn auch in abgeschwächtem Maße, der gleiche Vorwurf wie ihn: der Vorwurf mangelnder Gewissenhaftigkeit.

Bezeichnenderweise sind aber gerade diese mit dem Munde so mutigen Leute die ersten, die sich, wenn ein Unglück geschehen ist, alle Schuld auf den Fahrer abzuwälzen bemühen. Die Gerichtsverhandlungen bezeugen das mit einer höchst unerfreulichen Regelmäßigkeit. Denn es ist erstaunlich, wie viele dann plötzlich das traurige Ende vorausgesehen und vergeblich ihre warnende Stimme erhoben zu haben behaupten.

Mehr Verantwortungsgefühl! kann man da nur immer wiederholen. Und: besser Vorsicht üben, als Nachsicht fordern!

Sicherheit Vorbedingung! Dieses Leitwort verdiente wirklich, auch unsern Automobilisten — und nicht nur den freilich am meisten betroffenen Omnibusführern — bei jeder Gelegenheit eingeprägt zu werden. Der gewaltige Aufschwung, den der Autoverkehr dank der fürsorglichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Regierung bei uns genommen hat, macht eine straffe Fahrdisziplin, macht Behutsamkeit und sorgfältigste Befolgung der Verkehrsregeln zur gebieterischen Notwendigkeit ganz abgesehen davon, daß schon die bloße Achtung vor dem Volksgenossen dazu verpflichtet.

Unser deutsches Volk ist in so vielem für die Welt vorbildlich geworden. Sollte es da nicht möglich sein, zu erreichen, daß es auch auf dem für die Gegenwart so unendlich bedeutungsvollen Gebiet der Straßenordnung einmal heißen könnte: Deutschland in der Welt voran!?

1935, 17 · Franz Krämer