— Jg. 1932, Nr. 38 —
Im Herbst 1917 stand Krause bei einem Reserveregiment an der Westfront und wartete sehnsüchtig aber mit einiger Gewißheit auf einen baldigen Urlaub, denn er hatte, wenn auch schweren Herzens, zwohundert Mark Kriegsanleihe, das bekannte „mündelsichere Papier“, gezeichnet. Damit waren zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen; erstens: Urlaub geschunden, zweitens: für die Berufsausbildung seines 13jährigen Sohnes Karl eine sichere Rücklage gemacht. Der alte Krause, sein Vater, saß inzwischen zu Hause hinter dem Ofen und laborierte an den Beschwerden, die ihm das Alter und die Kriegsernährung beschert hatte. Manchmal, wenn es gar zu arg war, suchte er Trost an dem Gedanken, daß sein Sohn das E.K.II erhalten habe. Aber es war ein schwacher. Denn man war, wie gesagt, bereits im Herbst 1917. Der 13jährige Karl dagegen erlebte zur selben Zeit das ewig neue Wunder vaterländischen Einsatzes. Seine Klasse war samt dem Lehrer zur „Sicherstellung der Ernährung“ auf dem Gut eines ostelbischen Junkers bei der Ernte der Kartoffeln eingesetzt worden, welche selbiger nachher größtenteils zu Schnaps und damit zum zuverlässigsten Antriebsmittel nationaler Begeisterung verarbeitete. Im Hause Krausens ging Pastor Schulze mit schöner Selbstverständlichkeit aus und ein, die erlahmende vaterländische Spannkraft durch forcierte Hoffnungen auf den Himmel neu belebend.
Im Herbst 1918 überfiel Krausens die Gewißheit, daß man einerseits die in den bekannten mündelsicheren Papieren angelegten Beträge so gut als verloren anzusehen gewissermaßen berechtigt sei, andererseits hatte man immer noch starke Hoffnung auf das im Schützengraben oft ventilierte Eigenheim, und konnte, wenn man wollte, den Sozialismus deutlich marschieren hören. Im Hause ging Pastor Schulze immer noch mit schöner Selbstverständlichkeit aus und ein und verwies in der Ungewißheit der Umsturztage mit doppelt berechtigt erscheinendem Ernst nach oben. Gegen die Republik hatte er nichts einzuwenden, da sie noch gar nicht da war.
Im Herbst 1925 döste Großvater Krause, seiner Spargroschen auf eine aufregende und radikale Weise beraubt, zwischen Wut und Entsagung schwankend seinem baldigen Ende entgegen. Vater Krause war damit beschäftigt, Vergleiche zu ziehen zwischen dem „Dank des Vaterlandes“ und den eben ausgesprochenen Rentenkürzungen. Weiter kam er nicht.
Karl, der nunmehr 21jährige, war, politisch hellhörig, inzwischen zu Adolf Hitlers Bewegung gestoßen, aus welchem Grunde er sein in Anbetracht der unsicheren Zeiten zu früh gezeugtes und geborenes Knäblein Adolf taufen ließ. Pastor Schulze ging im Hause aus und ein und schimpfte in würdigen Nebensätzen mit zunehmendem Erfolg auf die Republik.
Im Herbst 1930 starb Großvater Krause am Alter und an der Ungerechtigkeit der Zeit. Vater Krause erging sich über das „System“ in bitteren Redewendungen, mit denen er seine Entrüstung über die neuerlichen Rentenkürzungen geschickt zu verbinden wußte. Karl war arbeitslos und fing an, sich an Adolf Hitlers pickfeinem Umgang ein wenig aufzuhalten. Sein Sohn Adolf dagegen schoß sichtlich in die Höhe und zeigte neben rachitischen Merkmalen auch solche unverfälschter arischer Rasse. Pastor Schulze malte bei seinen jeweiligen Besuchen gedankenverloren Hakenkreuze auf den Tisch.
Im Herbst 1932 brütete Vater Krause stumpf über der anscheinend unlösbaren Frage, was nun eigentlich ein Existenzminimum sei. An dem Tempo, mit dem es immer weiter herabgedrückt wurde, lernte er den Grad der nationalen Erneuerung erkennen. Karl sah, wie selbst freiheitlich gesinnte Bürger sich von dem zackigen Schliff des Arbeitsdienstes Gutes versprachen, und ging kurz entschlossen in ein Arbeitslager. Sein Sohn Adolf wurde zur selben Zeit für würdig befunden, in die Hitlerjugend aufgenommen zu werden; er freute sich darauf, bald auf irgend einem Gut eines Junkers zur „Sicherung der Ernährung“ eingesetzt zu werden. Pastor Schulze schwamm mit schöner Selbstverständlichkeit im Fahrwasser Hitlers.
Herbst 1933: Armenbegräbnis Krausens, Karl erhält ’ne Auszeichnung für Verdienste an der Arbeitsfront, Adolf wird bei der Kartoffelernte eingesetzt, Schulze hält Feldgottesdienste ab. Parademärsche, Schnaps, Kriegsbegeisterung, mündelsichere Papiere, Urlaub, Eigenheim, Rentenkürzung, Arbeitsdienst, Armenbegräbnis…
1932, 38 anonym