Ein Kerl für ein Standbild

August Friedrich Oelenheinz' Porträt von Christian Friedrich Daniel Schubart aus dem Revolutionsjahr 1789 (Ausschnitt)

Hommage · Vier Jahre verbrachte Christian Friedrich Daniel Schubart in Ludwigsburg – vor zweieinhalb Jahrhunderten. · Von Holger Bäuerle

Vor 250 Jahren kommt der Dichter, Musiker und Journalist Christian Friedrich Daniel Schubart nach Ludwigsburg. Schon vier Jahre später wird er von Herzog Carl Eugen aus der Stadt und damit des Landes verwiesen. Wenig später gibt er Deutschlands erste überregionale politische Zeitung heraus. ein Schritt, der ihn schließlich auf den Hohenasperg bringen sollte.

Im Jahr der Französischen Revolution porträtiert der Maler August Friedrich Oelenheinz einen schwäbischen Revolutionär. Einen, von dem schon die Zeitgenossen sagten, er sei noch „in Fesseln frei“ gewesen: den 1739 geborenen Schubart, den ersten bedeutenden politischen Journalisten Deutschlands. Von 1774 an, nach seinem Rauswurf aus Württemberg, redigiert er von den freien – und damit sicheren – Reichsstädten Augsburg und Ulm aus seine „Deutsche Chronik“, was ihn weit über die württembergischen Landesgrenzen hinaus berühmt macht.

Kraftvoll, gerne kernig, derb, dreist, immer volksnah, bildhaft in Wort und Stil, greift er darin kühn an, was sich seiner Gegenwart in den Weg stellt: absolutistisch regierende Fürsten, kriechende, katzbuckelnde Höflinge, das „Geschmeiß in den Amtsstuben“, den katholischen Klerus. Er klärt auf und ist der Aufklärung gegenüber misstrauisch, er ist Stürmer und Dränger, er begleitet hellsichtig die deutsche Literatur und liefert bei alledem literarische Texte, die bis heute bekannt geblieben sind: Die von Schubert vertonte „Forelle“, „Die Fürstengruft“, „Das Kaplied“.

Zehn Jahre Haft bringen Schubart sein umtriebiges politisches Engagement, sein beißender Spott, seine unverhohlenen Angriffe auf die Mächtigen schließlich ein: Von 1777 bis 1787 arretiert ihn Herzog Carl Eugen, auf dem Hohenasperg.

Nach Ludwigsburg gekommen war er Ende 1769. Er bezog mit seiner Familie das geräumige Haus Kirchstraße 18, das heutige Schubart-Haus. Gegen die Bitten seiner Frau hatte er sich entschieden, das Amt des Musikdirektors und Organisten am württembergischen Hofe anzunehmen. Im Nebenberuf gab er den Damen der feinen Gesellschaft Klavierstunden, hielt anfangs, vermittelt durch den Literaturprofessor Balthasar Haug, Vorträge über Geschichte und Ästhetik.

Schubart fasste rasch in den höfischen Kreisen Fuß – und blickte selbstironisch auf sein Treiben: „Ich bin nunmehro ein Hofmann!“, schrieb er an seinen Schwager Christian Gottfried Friedrich Boeckh, den Rektor des Esslinger Gymnasiums. „stolz, windisch, unwissend, vornehm, ohne Geld und trage samtne Hosen. (. . .) Meine Studierstube hat sich in ein Putzzimmer verwandelt, mein Pult in eine Toilette (. . .), und statt des Tobaks kaue ich Lavendel.“

Diesem Leben war ausschweifend, er hatte angeblich zahllose Affären mit Frauen, besang im Wirtshaus aber Franziska von Hohenheim, die Mätresse des Herzogs, als „Donna Schmergalina“, die sich mit dem Nissenkamm zu reinigen habe. Wegen des „verdächtigen Umgangs mit einem Mädchen“ kam er vorübergehend ins Gefängnis, seine Frau Helene, eine geborene Bühler, verließ ihn mit den Kindern. 1773, er hatte mit seiner Haushaltshilfe Barbara Streicher Ehebruch begangen, wurde er per herzoglichem Dekret nicht nur der Stadt, sondern gleich des Landes Württemberg verwiesen.

Ein Kerl für ein Standbild, mal heroisch, mal sentimentalisch verklärt. Ein Freiheitsheiliger des 18. Jahrhunderts. Für die aufbegehrende Jugend einer, den man als Che Guevara auf dem T-Shirt hätte tragen müssen, ein Statement. Dabei ist das Bild des Dichters, seine Ludwigsburger Zeit belegt es, wohl ein differenzierteres, diffizileres: Schubart war in der Lage, Gedichte zu schreiben, die Fürstentümer zu erschüttern vermochten – und konnte im gleichen Atemzug Ständchen zum Ruhm der Fürsten trällern. „Da liegen sie, die stolzen Fürstentrümmer, Ehmals die Götzen ihrer Welt!“, heißt es dort, andere plätschern in strophenlanger Gedankenlosigkeit von Refrain zu Refrain.

1787 wurde der Dichter vom Hohen­sperg entlassen. Er übernahm in Stuttgart die Leitung des Theaters und redigierte neuerlich, nun mit der gebotenen Vorsicht, unter den Augen des Herzogs und dessen Zensurbehörde, seine „Deutsche Chronik“, die nun „Vaterländische Chronik“ heißt. Er war populärer denn je, aber die Kerkerhaft hatte ihn gezeichnet. Und das unmäßige Essen und Trinken nach jahrelangen Entbehrungen schwemmte ihn binnen kurzer Zeit auf. Auch vom Spiel, von den Frauen konnte der bald 50-jährige noch immer nicht lassen.

Die französische Revolution freilich durfte er noch erleben. „Freiheit, Freiheit, Silberton dem Ohre, Licht dem Verstande! Dem Herzen groß Gefühl Und freier Flug zu denken!!“, feierte er sie in seiner „Vaterländischen Chronik“. Die Freude eines Mannes, der einst die absolutistische Welt beunruhigt hatte, der besiegt und gebrochen wurde, aber nicht mundtot zu machen war. Zwei Jahre hatte er nach dem großen Ereignis noch zu leben. 1991 starb er in Stuttgart, sein Grab befindet sich auf dem Hoppenlaufriedhof.

Quelle: Artikel von Holger Bäuerle in der Stuttgarter Zeitung vom 17. April 2020