Heldentum

Im U-Boot

— Jg. 1930, Nr. 25 —

Bericht eines Helden 

Am 9. Juni ist in der Nähe von Kiel ein Obelisk enthüllt worden, dessen eine Seite die Inschrift trägt: „Es kommt der Tag, wo Recht über Macht triumfiert!“, während auf einer anderen zu lesen ist: „Im Weltkrieg von 1914 bis 1918 blieben 5132 Helden, 199 U-Boote“. Helden — darf man dazu mal was sagen? 

Diese fünftausend U-Bootsleute waren lauter Helden. Und zwar nicht etwa, weil zufällig sie das Pech hatten, mit ihrem Kahn in die Luft zu fliegen oder sich in den Sand und Schlamm des Meeresgrundes einzubohren, sondern weil alles, was damals Uniform trug, eben Held war. Die Soldaten des großen Krieges sind im Jargon ihrer Totengräber, der mannhaften Vaterlandsfreunde, vier Jahre lang samt und sonders Helden gewesen und sind es, wenn die nationalen Durchhalter feiern, heute noch. Was steckt dahinter? Etwas sehr Einfaches: ein Volk, das seine Helden ehrt, ehrt sich selber; wenn man das Volk der damals waffentragenden Männer zum Volk der Helden erklärt, so wird die Nation ein Heldenvolk, nämlich ein Volk aus lauter Helden, und alle Heimkrieger, Kriegsschürer, Kriegsnutznießer und Etappendurchhalter und -profitler sind einbegriffen, sanktioniert und mitgeadelt. Helden, Helden, so weit ich seh! Die ganze Flur stinkt nach ihnen. 

Ich bin berufsmäßiger Held gewesen, vier Jahre lang, und habe schon 1918 im damals bedeutendsten Blatt der Jugendbewegung bescheiden (nicht als Pazifist) gegen diese Zuerkennung des Heldentitels protestiert. Ich darf also wohl auch jetzt. 

Wir waren keine Helden. Wir haben vier Jahre lang, gezwungen, unter der Fuchtel gehalten, für Widersetzlichkeit mit Zuchthaus und Tod bedroht, widerwillig und innerlich verzweifelt eine dreckige, zermürbende und gemeine Arbeit namens Krieg ausgeführt. Die Entlohnung war tariflich festgelegt; sie war schändlich gering und ausbeuterisch: für 53 Pfennig bares Geld im Tag hatte man sein Leben auszuliefern. Das galt für die gemeinen Arbeiter, die unteren Helden. Die oberen Helden, die Herren Kriegsbeamten und Direktoren, bekamen natürlich eine anständige Gage. Sie stand in keinem Verhältnis zu der unseren. 

Wir Helden waren feige. Tapferkeit war Leichtsinn; wir lehnten sie ab. Tapfer waren nur die jungen Ersätze – am ersten Tag. Sie kamen, streckten den Kopf über Deckung, um Freund und Feind zu zeigen, daß sie sich nicht fürchteten, bekamen eine geplatzt und waren Helden gewesen. Ihre Kameraden lernten prompt davon und wurden grundsätzlich untapfer wie wir. 

Im Anfang, als man noch nicht wußte, was Krieg war, und in geistiger Betrunkenheit zum frischfröhlichen Jagen zu stürmen glaubte, kam es gewiß vor, daß die Feldgrauen aus Lust und Liebe ins feindliche Feuer rannten. Das hatte bald ein Ende, es kamen mehr als dreieinhalb Jahre Kater. Schwarzes, geronnenes Blut, gelblich-weißes verspritztes Gehirn, Verwundete, die stundenlang „Mutter!“ brüllen (eigener Schmerzen gar nicht zu gedenken) — die Illusion geht rasch flöten. Ein toter Mensch, der nicht eingebuddelt wird, ist Aas, verfault einem vor den Augen und stinkt weithin — da weicht schnell der Rausch. Später bekamen wir vor Sturmangriffen Schnaps in Menge, damit wir wieder Helden würden; es hat nicht viel genutzt. Wir haben in diesen vier Jahren Angst gehabt, wie ihr andern es euch nie vorstellen könnt; ich auch, natürlich, Angst bis dort hinaus, und das oft genug. Setzt ihr euch mal in einen Lehmgraben oder in ein Erdloch, während ein Trommelfeuer wie ein Hagelwetter über euch niedergeht! Ihr sitzt und wartet, ob’s euch trifft; tun könnt ihr nichts, ihr müßt nur stillhalten. Wenn ihr Pech habt, seid ihr im nächsten Augenblick ohne Kopf oder in euere Bestandteile tranchiert oder zerblasen, gestaltloser Dreck unter Dreck. Und dann wundert euch, wenn ihr Angst bekommt, ihr mit dem Begeisterungsfusel, dem Heldenschmus! 

Wie ihr euch die Helden denkt! „Patrouille!“ — und schon spritzt alles, und die Aspiranten schlagen sich die Nasen voll, um mitzudürfen. Scheibe! Patrouille war eine gewöhnliche Werktagsfunktion, und wer sich drücken konnte, der tat’s. Wenn ihr Heldenschmuser wüßtet, wie man suchen und betteln mußte, bis die paar Mann beisammen waren, die man als Patrouillenführer mitzunehmen hatte! Euere Helden wollten alle nicht. Der Unterstand war immerhin sicherer; und außerdem wollten sie schlafen. Denn wir hatten ja Tag und Nacht Schlaf. Euere Helden schimpften und fluchten, wenn sie den dienstlichen Befehl erhielten, mitzukommen, räsonnierten und weigerten sich. (In euerem Patriotenhirn heißt das, glaub ich, Meuterei oder doch mindestens Ungehorsam oder Feigheit vor dem Feind. Bei uns Helden war es selbstverständlich und natürlich.) 

Unsere Patrouillen machten wir oft genug am anderen Morgen erst: auf dem Meldeformular. Unser Kompagnieführer, der Held Oberleutnant N., war eines Tages mit den Schauergeschichten allein nicht zufrieden: er verlangte ein für allemal, daß man Draht vom russischen Verhau mitbrächte. Der Gefreite P. war der erste, der es fertig brachte, er ist dann auch bald Unteroffizier geworden. Von da an lieferten auch wir anderen jeden Tag unser Stück Russendraht ab: hinter der Stellung, unter einem Dutzend deutscher Drahtrollen lag nämlich auch eine russische […] 

Euere Helden, liebe Leute, gingen aus Angst, gebückt auf die Latrine und saßen geduckt auf der Stange; sie erledigten ihre Geschäfte in größter Eile und knöpften oft erst daheim, im besser geschützten Schützengraben, die Hose zu. 

Wir Helden sind keineswegs singend in die Schlacht gestürmt, wie jene legendären Kinder von 1914 es gehalten haben sollen. Wir haben geflucht und geschimpft, wenn wir selbst stürmen mußten oder wenn ein Angriff des Gegners bevorstand, und hofften nur das Eine; daß es den anderen treffen möge, und wenn er auch unser bester Kamerad war. 

Wir Helden haben einander um jeden Bissen Brot scheel angesehen. Wir haben den Bauern Geflügel, Brot und Schweine geraubt. Einer unserer vorgesetzten Helden hat sich in Frankreich die Liebe der Frauen durch Vorhalten des Revolvers errungen. Wir Helden haben alle Hunde aufgefressen, die wir erwischen konnten, den des Bataillonführers einbegriffen. Viele von uns Helden haben sich so oft als möglich besoffen, gewöhnliche Helden und vorgesetzte. (Die gewöhnlichen wurden bestraft, wenn’s rauskam.) Viele haben durch Einführung eines Stückchens Seife einen Tripper vorgetäuscht, um wenigstens ins Lazarett zu kommen, und viele haben sich mit Absicht eine richtige Geschlechtskrankheit geholt. Viele haben den wilden Mann gespielt, mancher hat zwei bis drei Jahre lang Verrücktheit simuliert bis der Krieg alle war. 

Wir waren Zwangshelden. Ihr wolltet Heldenhaftigkeit von uns erpressen und bekamt geliefert, was ihr verdientet. Nur für das große Maul, das ihr immer noch Unheil anrichten laßt, habt ihr den Lohn noch nicht. Es ist euch noch nicht gestopft worden. Aber vielleicht kommt das noch. 

1930, 25 · Max Barth