— Jg. 1925, Nr. 12 —
Das Wort Pazifismus hat nirgends einen schlechteren Klang als in Deutschland. Schlaue behaupten, es käme von der Einseitigkeit der deutschen Pazifisten. Ach nein; die Abneigung liegt begründet in der deutschen Mentalität der wilhelminischen Ära. Jedes Wort gegen Krieg und für zwischenstaatliche Verständigung und internationale Schiedgerichtsbarkeit und Abrüstung hat hier einen femininen Charakter; hier in dem Lande, in dem noch bis vor kurzem durch die landläufigen Redeblüten militärischer Romantiker die Gebärfreudigkeit angeregt zu werden pflegte.
Der Geist des Mißtrauens, der uns über den Rhein herüber entgegenweht, ist vielleicht begründeter, als selbst deutsche Pazifisten glauben wollen. Gewiß: dieses Mißtrauen ist sich nun seit 1918 so ziemlich gleich geblieben; einerlei, wer bei uns am Ruder war. Aber kommt das nicht vielleicht daher, daß diese Regierungen entweder nichts getan haben oder nicht viel tun konnten, um der Welt zu zeigen, daß der Geist von 1914 im Schwinden begriffen ist?
Von der ersten Haager Konferenz im Jahr 1899 geht eine gerade Linie bis zu den Vorbehalten über den Eintritt in den Völkerbund. Damals war es schon die Ansicht der beteiligten Mächte, „eine Beschränkung der die ganze Menschheit bedrückenden Militärlasten sei höchst wünschenswert.“ Aber der deutsche Vertreter erwiderte: „Das deutsche Volk wird keineswegs erdrückt vom Gewicht seiner Abgaben, es treibt keineswegs dem Abgrund zu, es steht keineswegs vor der Erschöpfung und dem Untergang.“ Damit war die Konferenz in ihrem Hauptpunkt zum Scheitern gebracht. Auf der zweiten Konferenz im Jahr 1907, als es um die Errichtung eines ständigen Schiedsgerichts ging, war wiederum Deutschlands Nein entscheidend für den kläglichen Ausgang. Von da ab datiert die verhängnisvolle Umgruppierung in der europäischen Politik. Das Instrument der Verständigung und Vermittlung war verhindert, Wilhelms Unbesonnenheit trieb zu Konflikten. Es sind Glieder einer Kette, der Sprung nach Agadir, die Blankovollmacht an Österreich, der Einbruch in Belgien, die Gewaltfriedensverträge von Brest-Litowsk und Bukarest.
Nur in einem Punkt haben wir die Linie unserer Gewaltpolitik verlassen und uns für Recht und Gerechtigkeit eingesetzt: als man uns den Schandvertrag von Versailles aufzwang. Der doch, wir merken es heute immer besser, weniger ein Produkt sinnlosen Hasses als ein Ausfluß französischer Angst ist. Hervorgegangen aus dem Geist des Mißtrauens, den wir unter Wilhelm II. so unermüdlich genährt haben. Wer so beharrlich Abrüstungs- und Schiedsgerichtsgedanken ablehnt und sich auf sein blankes Schwert stützt, wer so wenig Vertrauen in die ersten hoffnungsvollen Ansätze einer planvollen Organisation der internationalen Beziehungen hat, der darf sich nicht wundern, wenn sich die Schwierigkeiten einer Verständigung über seine wirklichen Nöte turmhoch häufen und wenn sein Appell an das Recht untergeht im Mißtrauen.
Bei der Bekämpfung des Vertrags von Versailles ist uns, bezeichnenderweise, die sogenannte Schuldfrage immer mehr im Vordergrund gestanden als die angeblich nicht aufzubringenden Lasten (2 1/2 Milliarden sind als höchste jährliche Zahlung vorgesehen, rund 6 Milliarden werfen wir jährlich für Alkohol und Tabak hinaus). Die nackte Feststellung, daß wir zuerst angegriffen haben, ist umgewandelt worden in die Lüge von der Alleinschuld der Deutschen am Kriege, von der im Friedensvertrag mit keinem Wort die Rede ist. Aber der Kampf hat ein viel weiteres Ziel. Man möchte nicht nur keine Schuld an dem Verhängnis haben, sondern auch noch beweisen, daß die deutsche Politik vor dem Kriege die richtige war, ja daß die andern die Schuld am Weltkrieg tragen. Die Folgen jener Vereitelung der Haager Konferenzen benützt man dazu, um zu sagen: seht, es war denen ja gar nicht ernst mit ihrer Rederei um den Frieden herum. Wenn irgendwo irgendeiner irgendetwas gesagt hat, das den Unschuldlügnern in den Kram paßt, wird es herbeigeschleppt zum großen Reinwaschen.
Indessen ist man sich in der Welt draußen längst klar darüber, in welchem Umfang das kaiserliche Deutschland am Weltbrand schuldig zu sprechen ist. Nur wir wissen es immer noch nicht. Wir appellieren fortgesetzt an das Weltgewissen; dabei ist nirgends weniger Glauben an eine Politik des Rechts, als bei uns. Wir haben nicht den Mut, mit der Politik der Gewalt Schluß zu machen. Unsere Hoffnungen sind im Stillen immer noch bei ihr.
Ein kleiner lustiger Ruhrkrieg ist uns immer noch sympathischer als die Erledigung einiger Lieferungsrückstände. Immer wenn eine eigene oder eine fremde Regierung etwas in der Richtung der Verständigung gewollt, und immer, wenn dann andere, gestärkt durch den chauvinistischen Rückhalt, es ausgenützt haben, verziehen die 1914er das Gesicht: hier seht ihrs wieder, ihr dämlichen Friedensfreunde. Und wenn einer den Mut hat, wie Professor Förster, offen zu sein, ist die ganze Meute hinter ihm her. Weil sie glauben, Politik und Moral vertrügen sich nicht. Weil sie an die Schliche ihrer Geheimdiplomatie gewöhnt sind. Weil sich bei ihnen immer noch Geschäft und Politik so gut vertragen.
Pazifismus tut not. Solidarität tut not. Das Geschäft muß hinaus aus der Politik, und dafür die Moral, die anständige Gesinnung, hinein. Dafür und für nichts anderes kämpft der viel verkannte Förster. Hat er denn nicht Recht?
Es gibt keine ehrliche Politik ohne das Bewußtsein der Verbundenheit, und es gibt keine Verbundenheit unter Geschäftspolitikern. Es gibt kein Vertrauen, wenn nicht einer den Anfang macht, es zu rechtfertigen. Und es gibt Situationen, in denen nur noch der Mut zu ein bißchen Vertrauen helfen kann. Wir sind in einer solchen. Die zivilisierte Welt steht vor dem Augenblick, in dem sie dem Chaos Form geben muß. Der geschichtliche Moment drängt zur Weltorganisation.
1925, 12 · Hermann Mauthe
Empfindliche Gemüter.
In der „Selbsthilfe“, dem Blatt der Volksrechtspartei, hat Herr W. P. mit seiner spitzigen Feder unabsichtlich einige Leser verwundet. Die Schriftleitung sieht sich veranlaßt, mitzuteilen, daß die Leser „selbstverständlich nicht gemeint“ seien. Ist das nicht gerade der Fehler an unserer ganzen Presse, daß die Leser nie gemeint sind? Und der Fehler der verehrlichen Leserschaft, daß sie sich so selten getroffen fühlt?
1929, 36