— Jg. 1927, Nr. 40 —
Herr v. Hindenburg feiert heute seinen 80. Geburtstag. Da er seit Tannenberg so etwas wie ein deutscher Nationalheiliger ist, wird es ohne einen kleinen Hindenburgrummel nicht abgehen. Auch linksstehende Blätter und Personen werden sich ihm wahrscheinlich nicht entziehen können. Wir sind leider im politischen Takt auf der einen und im Bürgerstolz auf der andern Seite noch nicht so weit fortgeschritten, daß derartige Anlässe nicht peinlich zu werden brauchten.
Hindenburg ist Präsident der deutschen Republik. Wo er als solcher in angemessener Form geehrt wird, da ist er nicht Person, sondern Symbol; und kein Republikaner, auch nicht der schärfste politische Gegner des Staatsoberhauptes, hätte Anlaß, sich der Veranstaltung zu entziehen oder sie gar zu stören. Aber Hindenburg ist auch kaiserlicher Generalfeldmarschall und schwarz-weiß-rote Propagandafigur; er hat bei aller Loyalität gegen die Republik, die man an ihm seit Übernahme seines heutigen Amtes beobachtet hat, die Beziehungen nicht aufgegeben, die mit seiner ehemaligen Stellung zusammenhängen. Insbesondere scheint er sich immer noch (trotz persönlicher Abneigung) durch seine Soldatenpflicht an den einstigen „obersten Kriegsherrn“ gebunden zu fühlen; sonst hätte er ihm auf jenes echt wilhelminische Telegramm am Tage von Tannenberg nicht geantwortet. Und wenn der Geburtstag Hindenburgs mit Demonstrationen sogenannter vaterländischer Verbände und monarchistischen Flaggenparaden begangen wird, dann wird man es keinem Republikaner zumuten können, mitzumachen. Das Reichsbanner Schwarz-rot-gold hat recht, wenn es darauf verzichtet, in Berlin neben Werwölfen und anderen Hakenkreuzlern Spalier zu stehen.
Auch an der ganz unbegründeten, für Eingeweihte nahezu komischen Verherrlichung der Person Hindenburgs wird sich niemand beteiligen können, der über die Hindenburglegende Bescheid weiß. Sollte der preußische Ministerpräsident a. D. Adam Stegerwald nicht genügend darüber aufgeklärt sein? Er ist der Verfasser eines schmalzigen Maternartikels, den die Provinzpresse samt dem mit Lorbeerblättern garnierten Bild des Jubilars schon vor längerer Zeit veröffentlicht hat. Hindenburg kann nicht wohl in allen Dingen „unser aller Vorbild“ sein; er ist kein „großer Mann“; und seine Verdienste als Heerführer sind wahrhaftig nicht gerade unbestreitbar. Stegerwald macht’s ungefähr wie jener Weingärtner, der von einem guten Jahrgang zu sagen pflegte: „eigenes Gewächs“, und von einem schlechten: „so hat ihn halt unser Herrgott wachsen lassen“. Er schreibt nämlich von seinem Helden: „Er hat Erfolg gehabt und wurde nicht stolz dabei. Er hat Unglück über sich und seine Sache hereinbrechen sehen . . ., und zerbrach selber nicht.“ Könnte man nicht auch versucht sein, statt Erfolg „Glück“ zu setzen, und statt Unglück „Mißerfolg“? Das — entscheidende — Endergebnis des von Hindenburg geführten Feldzugs war leider der Mißerfolg, und man tut ihm weder Ehre an noch entspricht der geschichtlichen Wahrheit, wenn man ihn für ganz unverantwortlich an der Niederlage erklärt, auch wenn er selber robust genug war, nicht an ihr zu zerbrechen.
Mit der Verantwortlichkeit der Verantwortlichen ist es heutzutage bei uns etwas Merkwürdiges. Man verfährt ganz nach jener oben zitierten Weingärtnerfilosofie. Hat ein Diplomat, ein Minister, ein General Erfolg, dann betet man ihn an, auch wenn der Erfolg mehr „Schwein“ als Verdienst war. (Das ist immer so gewesen.) Hat der Mann aber Mißerfolg, dann nimmt man ihm das nicht übel, selbst wenn dieser Mißerfolg offenkundig nicht von „Pech“ kommt, sondern auf Unfähigkeit, Starrsinn, Übermut zurückzuführen ist. (Das ist nicht immer so gewesen; für solche Fälle hatte man früher und anderswo Staats- und Kriegsgerichte oder die seidene Schnur.)
Das deutsche Volk, vielmehr eine knappe Mehrheit dieses Volkes, hat seinen Hindenburg zum Präsidenten gewählt, nachdem er den rechtzeitigen Frieden verhindert und den Krieg verloren hatte, der für ihn freilich nur ein großes Manöver gewesen zu sein scheint.
Wir haben ihn nicht gewählt. Es sei ferne von uns, ihn zu beschimpfen, wie man Ebert beschimpft hat. Wir sind bereit, ihn als den Präsidenten der Republik geziemend zu ehren. Aber wir möchten ihn dabei im Gehrock auftreten sehen, nicht im Generalskostüm. Und wir lehnen es ab, ihn zu verehren.
1927, 40 Sch.