— Jg. 1929, Nr. 19 —
Bei der Behandlung des Etats des Auswärtigen Amts im Haushaltsausschuß des Reichstags ist man wieder einmal darauf gestoßen, wie teuer unser politischer Außendienst arbeitet. Vor allem, weil seine Beamten, vom Botschafter bis zum Legationssekretär, fabelhafte Gehälter beziehen.
Der höchstbezahlte Innenbeamte der deutschen Republik, der Reichspräsident, hat monatlich 15 000 Mark. Ebensoviel bekommt schon der Botschafter in London; mehr bekommen: der Gesandte in Buenos Aires (15 300 Mark), der Botschafter in Madrid (15 400 Mark), der in Washington (17 800 Mark) und der in Moskau (19 200 Mark). Der Reichskanzler hat ein Einkommen von monatlich 4250 Mark; als Legationssekretär in Teheran würde er 300 Mark weiter bekommen. Der Gesandte in Teheran hat über 10 000 Mark, der in Budapest nicht ganz 10 000; Stresemann, der Leiter unserer auswärtigen Politik, stellt sich monatlich noch nicht auf 4000 Mark, seine rechte Hand im Auswärtigen Amt, Staatssekretär von Schubert, auf 2300 Mark. Hingegen bekommt ein deutscher Konsul in Danzig 2400 Mark, der in Curitiba (das ist die Hauptstadt des brasilianischen Staates Parana) 5400 und ein Gesandtschaftsrat in Athen 9000 Mark. Alles monatlich, liebe Leser, die ihr solche Zahlen nicht einmal für ein Jahreseinkommen gewöhnt sein möget.
Nun darf man freilich in- und ausländische Gehälter nicht ohne Weiteres nebeneinander stellen, so wenig wie in- und ausländische Löhne. Wenn man beides vergleichen will, muß man wissen, was die Lebensbedürfnisse im Ausland und im Inland kosten. Hiebei wird sich zeigen, daß man im Ausland unter Umständen doppelt oder meinetwegen dreimal so viel Geld braucht, um so zu leben wie im Inland. Man wird also vielleicht nichts einwenden dürfen, wenn Außenbeamte das Doppelte oder Dreifache des Gehalts beanspruchen, das sie vorher in Berlin bekommen haben. Aber dabei ergeben sich noch lange keine solchen Zahlen wie die angeführten.
Zu ihnen kommt man erst, wenn man den Auslandsangestellten der Republik eine weitere Konzession macht: daß sie im Ausland nicht ebenso, sondern erheblich besser zu leben haben als daheim. Nämlich weil sie als vorgeschobene Posten eines großen Volkes vor der Öffentlichkeit des Auslands repräsentieren müssen. Namentlich natürlich die Chefs der einzelnen Missionen, die Botschafter und Gesandten. Sie müssen einfach, heißt es, auf großem Fuß leben, mit den besten Kreisen verkehren, prächtige Feste und Gesellschaften geben: damit der Ruf ihres Volkes nicht beeinträchtigt werde, und weil nach vielen alten Erfahrungen bei Sektglas oder Havana oft gerade die wichtigsten diplomatischen Gespräche stattfinden. Wenn man also den Berufszweck dieser Beamten nicht gefährden wolle, so könne man nicht umhin, ihnen entsprechende Summen zur Verfügung zu stellen. Außer etwa man würde sie bloß den reichsten Familien der Heimat entnehmen, was aber aus Gründen der sachlichen Eignung gefährlich und überdies in einer Republik keinesfalls angängig wäre.
Dieser Grund für die Überbezahlung der diplomatischen Außenbeamten wird manchem plausibel scheinen. Er mag es auch in früheren Zeiten gewesen sein. Heute gilt er nur noch sehr bedingt. Denn heute wird die Politik nicht mehr ausschließlich in höfischen „Kabinetten“, im kleinen Zirkel einiger Vornehmen, im Anschluß an irgendwelche gesellschaftlichen „Ereignisse“ gemacht, sondern in Parlamenten und — Aufsichtsratssitzungen, zwischen den nüchternen Wänden von Arbeitszimmern, wenn auch allenfalls im Klubsessel und mit der Zigarettendose in der Hand. Und die „Repräsentation“, die früher einmal einen Sinn hatte, insofern sie nämlich Macht zum Ausdruck bringen oder vortäuschen sollte, ist heutzutage, wo es statistische Handbücher gibt, oberhalb einer bescheidenen Grenze eine leere, unnötige oder gar lächerliche Äußerlichkeit.
Das weiß auch Gustav Stresemann, der im Haushaltungsausschuß seinen Etat verteidigt und dabei selber über die unvernünftige Art der Repräsentation durch „Massenspeisungen“ und dergleichen gejammert hat, die kein Vergnügen, sondern eine Qual bedeute. Aber, hat er hinzugefügt, wenn alle andern es so machen (auch die Herren russischen Auslandsvertreter!), dann könne man doch von unseren Botschaftern nicht verlangen, „daß sie allein ein andere Lebensführung beobachten“.
So? Warum denn nicht? Wäre es eine Schande, wenn die Vertreter eines Volkes, das erstens einen großen Krieg verloren hat und zweitens sich auf seine sittliche und geistige Qualtät so viel zu gute tut, mit gutem Beispiel vorangingen?
Nach dem amerikanischen Befreiungskrieg war es, glaube ich, da fielen die Gesandten des jungen amerikanischen Staats in den europäischen Hauptstädten überall dadurch auf, daß sie zu offiziellen Empfängen und Staatsfeierlichkeiten nicht im goldbetreßten Frack erschienen, sondern im bescheidenen Anzug aus „Homespun“, daheim gesponnenem und gewebtem Tuch.
Amerika ist dabei gar nicht schlecht gefahren, meine ich. Seine Diplomaten verschmähen, soviel ich weiß, auch heute noch, wo sie das mächtigste Reich der Welt verkörpern, die europäische Höflingstracht, die als Diplomatenuniform immer noch Mode ist.
Die deutsche Republik hingegen hat diese, samt Schiffhut und Degen, auf 1. Januar 1929 wieder neu eingeführt.
1929, 19 Wendnagel