Justizopfer: Fechenbach

Felix Fechenbach Felix Fechenbach (* 28. Januar 1894 in Mergentheim; ermordet 7. August 1933 in Scherfede) Journalist, Politiker (SPD, USPD), Schriftsteller und Dichter.

— Jg. 1924, Nr. 37 —

Die bayerischen Volksgerichte, eine der übelsten Erscheinungen unserer Tage, haben den wohlverdienten Untergang gefunden. Wohlverdient: denn ihre Rechtsprüche hatten mit Recht selten etwas zu tun. Sie waren gemeingefährliche Institutionen.

Nun sind sie dahin; und übrig blieben von ihrem Wirken nur die beschämende Erinnerung und ein Rest von Opfern, die hinter Gefängnismauern sitzen. Unter ihnen der Landesverräter Fechenbach.

Sein Verbrechen ist: daß er der Geheimsekretär Eisners gewesen ist. Der Bürger hat ein gutes Gedächtnis, wenn er will. Sein Groll gegen alles, was ihm fremd oder unverständlich ist, überdauert Weltuntergänge. Denn er hat Charakter. Den Charakter eines Hundes. In ihm steckt eine tückische Bestie; manchmal schlummert sie; aber wenn sich je eine Gelegenheit bietet, dem Gehaßten die Zähne ins Fleisch zu schlagen, ist sie sofort wach.

Fechenbach war zu sorglos. Aber man darf ihm das nicht zum Vorwurf machen: keiner hätte, an seiner Stelle, vermuten können, daß bürgerliche „Volksrichter“ in ihrem blinden Haß soweit gehen könnten, in der Weitergabe eines Textes, wie dem des Rittertelegramms, Landesverrat zu erblicken. Das Rittertelegramm vom Juli 1914 belastete nur den Papst, höchstens noch die österreichische Regierung, keinesfalls aber die deutsche (auch nicht die kaiserliche, die zu schützen sich das „Volksgericht“ im Falle Fechenbach anscheinend berufen fühlte).

Man brauchte einen Strick; denn man wollte dem Verhaßten eine Schlinge drehen. Und was in anderen Ländern beim ersten Versuch sich als mürber Faden erwiesen hätte, der keine Maus tragen könnte, zeigte sich in Bayern als solides Seil, an dem man den „Landesverräter“ Fechenbach so hoch aufhängen konnte, wie es einen gelüstete.

Trotzdem es sich um ein „Pressedelikt“ handelte, das schon drei Jahre verjährt war, trotzdem in derselben Sache bereits 1920 ein rechtskräftiges Urteil (Freispruch) ergangen war, hat man Anklage erhoben. Trotzdem weder der Nachweis zu erbringen war, daß der Tatbestand des Landesverrats erfüllt sei, daß ferner durch die Veröffentlichung des Telegramms dem deutschen Reiche Schaden zugefügt worden sei — es gibt noch viele „Trotzdem“ — hat man Fechenbach zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt.

Diese Münchner Gerechten sind in der Tat Gerächte. Sie haben den Ursinn der „Strafe“ wieder entdeckt, der da ist: Rache. Sie sind in ihrer Bosheit und Rachsucht naiv wie das Tier oder der primitive Mensch.

Was aber tun wir, die nicht primitiv sind, sondern kompliziert und empfindsam genug, daß es uns bis ins Mark erschüttert, zu sehen, wie die Gerechtigkeit als Werkzeug der Rache gebraucht wird? Wenn wir sehen, daß nicht nur geringe Vergehen hart gestraft werden, sondern daß Unschuldige „von Rechts wegen“ gemordet werden?

Müssen wir nicht aufstehen, uns vereinigen, zum Sturm antreten, um niederzureißen den Turm, in dem der Schuldlose schutzlos der Willkür der legalen bürgerlichen Strafsucht preisgegeben ist?

Immer wieder erinnert man sich, wenn der Fall Fechenbach erwähnt wird, an den französischen Hauptmann Dreyfus und seinen Verteidiger, seinen Befreier [Émile] Zola. Der große Franzose hat nicht geruht, bis es ihm gelungen war, das Gewissen seines Volkes wachzurufen, dem unschuldig Verurteilten die Freiheit wiederzugeben. Sollte die Seele des deutschen Volkes so dumpf und stumpf sein, daß es unmöglich wäre, in ihr einen Enthusiasmus für das Recht, eine Begeisterung für die Wiederherstellung der Gerechtigkeit, eine große Leidenschaft für die Befreiung eines zu unrecht Eingekerkerten zu entfesseln?

1924, 37 Max Barth

Das „Rittertelegramm“ ist ein Telegramm des bayrischen Gesandten beim Vatikan Baron Ritter vom 16. Juli 1914, wonach der Papst ein „scharfes Vorgehen“ Österreichs gegen Serbien gebilligt hat. Fechenbach ist wegen Weitergabe seines Textes an einen Schweizer Journalisten (im April 1919) am 20. Oktober 1922 als Landesverräter zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Am 19. Dezember 1924 ist er begnadigt worden.

Am 7. August 1933 wurde Fechenbach auf dem Weg von Detmold in das KZ Dachau im Kleinenberger Wald zwischen Paderborn und Warburg ermordet. Der Führer des Transportkommandos, SA-Obertruppführer Friedrich Grüttemeyer stieg mit Fechenbach aus dem Auto und versuchte erfolglos Namen von Informanten zu erhalten. Als Grüttemeyer zur Seite ging, feuerten SS-Mann Paul Wiese und der SA-Angehörige Walter Focke mehrere Pistolenschüsse auf Fechenbach ab, der lebensgefährlich verletzt und bewusstlos in ein Scherfelder Krankenhaus gebracht wurde, wo er noch am Abend des gleichen Tages starb, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Der Witwe wurde per Telegramm am 8. August mitgeteilt, ihr Mann sei bei einem „Fluchtversuch“ verwundet worden und später verstorben. Reinhard Heydrich behauptete in einem Schreiben vom 9. August in seiner Funktion als „Der Politische Polizeikommandeur Bayerns“, Fechenbach sei „von den Beamten der Lippischen Landesregierung bei einem Fluchtversuch erschossen worden“.[14] Den Befehl zum Transport hatte der von den Nationalsozialisten zum Regierungschef in Lippe ernannte Hans-Joachim Rieckegegeben,[15] der persönlich Fechenbach verfolgt hatte. Der Tat verdächtigt wurden vier SA- und SS-Männer aus Detmold: Friedrich Grüttemeyer, 1969 verurteilt wegen Beihilfe zum Mord zu einer Zuchthausstrafe von vier Jahren[16], Paul Wiese, 1948 verurteilt wegen „vorsätzlichen Totschlags“ zu einer Zuchthausstrafe von fünf Jahren[17], Karl Segler, dem keine Beteiligung nachgewiesen werden konnte und Josef Focke, der nie gefasst wurde[18]. Die Rolle Rieckes konnte nie ganz aufgeklärt werden. Ihm konnte der Befehl zum Mord nicht nachgewiesen werden, ein Strafverfahren gegen ihn wurde 1970 eingestellt.[19] Tatsache war aber, dass Riecke den Mörder Paul Wiese einige Monate später als seinen persönlichen Fahrer eingestellt hatte.[20][15]

Das Grab von Fechenbach befindet sich auf dem jüdischen Friedhof in Rimbeck.

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Felix_Fechenbach