— Jg. 1927, Nr. 10 —
Die demokratische Partei will im Reichstag beantragen, daß künftig allen Deutschen die deutsche Reichsangehörigkeit verliehen werden soll.
Bis jetzt gibt es den Begriff des deutschen Bürgers im staatsrechtlichen Sinne ja noch nicht. Es gibt — sehen Sie nur in Ihrem Paß unter „Staatsangehörigkeit“ mal nach — preußische, württembergische, oldenburgische, lippe-detmoldische und noch vierzehnerlei dergleichen Bürger, aber keine deutschen. Wenn ein Ausländer sich bei uns einbürgern will, so muß er sich wohl oder übel eines der 18 Vaterländer wählen. Das Komische dabei ist, daß alle andern 17 damit einverstanden sein müssen. Er kann also z. B., wenn er in Braunschweig wohnt, nicht braunschweigischer Staatsangehöriger werden, wenn Bayern oder Baden etwas dagegen haben.
Dem deutschen Reichstag ist zurzeit nicht viel zuzutrauen. Aber diesen alten Zopf wird er doch hoffentlich nicht hängen lassen wollen! Kann sich denn irgend ein Mensch in Deutschland, ausgenommen vielleicht ein paar waschechte Bayern, dagegen sträuben, daß er künftig in seinen Papieren als Deutscher bezeichnet wird?
Wir dürfen also vielleicht annehmen, daß dieser Schritt zum „Einheitsstaat“ nun demnächst gewagt werden wird; und daß auch Herr Petersen von Hamburg und Herr Braun von Preußen dabei mitmachen, die beide „Unitarier“ sein wollen, sich aber die Einmischung eines „Dritten“, nämlich des Deutschen Reiches, in ihre Grenzstreitigkeiten energisch verbitten.
Werden dann wohl auch mal die diplomatischen Vertretungen der deutschen Länder beieinander abgeschafft werden? Der preußische Gesandte in München? Der bayrische Gesandte in Berlin, der bayrische „Konsul“ in Stuttgart (Entfernung Stuttgart-München: 1½ Stunden)? Der württembergische, der sächsische Gesandte in Berlin usw.? In Berlin gibt es nach dem „Gotha“ 28 „Diplomaten“ der deutschen Länder, allein zehn davon in der sächsischen Gesandtschaft (Entfernung Dresden-Berlin: 1½ Stunden.)
Und wird dann auch einmal die Zeit kommen, wo sächsische Banknoten in Württemberg, oder badische in Sachsen an einem Postschalter oder auf einem Finanzamt in Zahlung genommen werden? Bis jetzt wird derartiges „ausländische“ Geld nämlich zurückgewiesen, obwohl es reichsgesetzlich anerkannt und ebenso gut ist wie die Reichsbanknoten.
Noch einfacher wäre es ja am Ende, die Länderscheine (es gibt badische, württembergische, bayrische und sächsische) ganz abzuschaffen.
1927, 10 Rauschnabel