Worum es geht

Sozialdemokraten und Kommunisten

— Jg. 1933, Nr. 8 —

Alle Pöstchenjäger und Bönzchenaspiranten drängen sich jetzt in die Reihen Hitlers. Hier glauben sie, in erster Linie für ihre Privatwünsche Befriedigung zu finden. Was bedeutet, ziffernmäßig betrachtet, der Anhang Hugenbergs, Seldtes oder gar Papens gegenüber der Braunen Armee des Duce? Die Anziehungskraft des größten Blocks wird sich wieder einmal bewähren. Wer hat, dem wird gegeben.

Schon in der heutigen Regierungskoalition [vom 30.1.1933] ist Hitler der weitaus stärkste Mann. Nicht wegen seiner persönlichen Stärke, sondern wegen der hinter ihm stehenden und ihm blindlings folgenden Massen. In der neuen Regierungskoalition nach dem 5. März wird er noch unbedingter auss.chlaggebend sein..

Das ist die große Gefahr, die dem deutschen Volk bei den Wahlen droht. Schon jetzt kann man sich schwer vorstellen, daß Hitler freiwillig von seinem Platze weichen sollte, wenn der 5. März [1933] dem Kabinett der sogenannten nationalen Konzentration keine Mehrheit gibt. Noch weniger vorstellbar ist das, wenn die Wahlen Hitler auf Kosten seiner Bundesgenossen erheblich stärken.

Unübersehbare Konfliktmöglichkeiten erscheinen drohend am Horizont.

In einem Blatt der Linken braucht nicht erst die Parole ausgegeben zu werden, daß alles darauf ankomme, bei den Wahlen die republikanischen Parteien zu stärken. Selbstverständlichkeiten soll man nicht aussprechen. Die große Frage ist die, welche praktischen Wege einzuschlagen seien, um zur Stärkung der antireaktionären Front zu gelangen.

Oberster Grundsatz aller Republikaner muß sein: jede Kräftevergeudung auf der Linken zu vermeiden! Kräftevergeudung aber bedeutet es, wenn die Kräfte, die ausschließlich gegen die Rechte sich kehren sollen, zu einem wesentlichen Teil durch innere Kämpfe innerhalb der Linken lahmgelegt werden.

Einige Idealisten propagieren eine Listenverbindung zwischen SPD und KPD. Ein Rundschreiben in diesem Sinne ist von zwei sympathischen Mitgliedern der Nelsongruppe, Maria Hodann und Willi Eichler, in sozialistischen Kreisen verbreitet worden. Dabei ist durch genaue Berechnung seinerzeit festgestellt worden, daß bei früheren Wahlen eine solche Listenverbindung die „Marxistische Front“ einen Sitz gekostet hätte. Das liegt an der Eigenart unseres Wahlgesetzes. Dieses Wahlgesetz macht allen kleinen Parteien Listenverbindung gebieterisch zur Pflicht, weil sonst, wie das am 6. November [1932] der Staatspartei passierte, Hunderttausende von Stimmen einfach unter den Tisch fallen. Aber für große Parteien bedeutet die Listenverbindung, die sie untereinander eingehen, keinen Nutzen. Sie kann sogar zu einem kleinen Mandatsverlust führen.

Es genügt nicht, daß Vorschläge aus Idealismus geboren und wohlgemeint sind. Sie müssen auch praktisch sein. Darum, selbst wenn die Listenverbindung SPD-KPD stimmungsgemäß möglich wäre, wäre sie zwecklos. Warum soll man seine gute Kraft an eine zwecklose Sache setzen?

Was vielleicht möglich und bestimmt sinnvoll wäre, das wäre die Vermeidung des brudermörderischen Kampfes, wie er bei allen früheren Wahlen einen so erheblichen Teil der Kräfte der beiden größten Arbeiterparteien unnütz verzehrt hat. Oder mußten nicht zahllose ihrer Wahlversammlungen auf den objektiven Dritten den Eindruck hervorbringen, als drehe sich die Wahlschlacht in der Hauptsache darum, daß die KPD der SPD möglichst viel Wähler abspenstig mache, und umgekehrt? So mancher Arbeiter, den dies Schauspiel anekelte, ist dadurch zur Wahlenthaltung, wenn nicht gar zur Abstimmung für die „Arbeiterpartei“ Hitlers getrieben worden.

Muß das, was bisher so war, immer, muß es diesmal wieder so sein? Soll nur bei Begräbnissen von Opfern des fascistischen Terrors KPD und SPD auf den Austrag ihrer Gegensätze verzichten?

Heute kommt es darauf an, den Wahlkampf so zu führen, daß die Wähler der großen sozialistischen Linksparteien nicht in ihren Wahlversammlungen in der Hauptsache das Sündenregister der anderen Partei vorgesetzt bekommen. Mögen die Sünden der SPD und der KPD noch so groß sein, jeder andere Gesichtspunkt muß überschattet werden von der Gefahr, die in allernächster Zukunft vor uns steht, der Gefahr einer fascistischen Herrschaft. Ist sie erst da, dann geht es uns wie in Italien: Sozialdemokraten und Kommunisten werden gleichmäßig von der Bildfläche weggefegt.

Blinde Illusionspolitik wäre es, die tiefen Gegensätze zwischen SPD und KPD leugnen zu wollen. Aber beide müssen heute einsehen: für beide besteht gleichmäßig Lebensgefahr.

In den Massen der Arbeiterschaft würde nichts befreiender und befeuernder wirken, als wenn aus allen Wahlreden der SPD und der KPD das gemeinsame Leitmotiv herausklänge: der Feind steht rechts!

1933, 8 · Hellmut von Gerlach