— Jg. 1931, Nr. 6 —
Die Millionen Arbeitslosen, gestern noch am Rande der Verzweiflung, können wieder frohgemuter zu Bette gehen: die Regierung hat einen vielköpfigen Ausschuß gebildet, der über dem Problem der Arbeitslosigkeit brüten soll, und Damen der Berliner Gesellschaft haben eine ganz großartig aufgezogene „Winterhilfe“ arrangiert. Die Berliner Zeitungen sind voll von Berichten; man sieht auf Bildern prominente Persönlichkeiten der äußerst dekorativ wirkenden Sammeltätigkeit nachgehen; an den Straßenecken klappert die Sammelbüchse genau so wie in den Vergnügungslokalen; wer einigermaßen auf sich hält, greift in die Tasche und entdeckt sein goldenes Herz. Man trägt es auf dem rechten Fleck, nämlich am Rock angesteckt, weithin sichtbar, damit ja kein Zweifel darüber besteht, daß man mit von der Partie ist.
Sicher wird auf die Art einiges zusammenfließen, und da diesmal, wie man glaubhaft versichert, der Apparat kaum Unkosten verursachen wird, so werden, wenn sich alle Hoffnungen erfüllen, auf den einzelnen Berliner Arbeitslosen wohl ein paar Mark kommen. Vielleicht aber auch bloß für die, die am miesesten dran sind. Es ist noch nicht ganz sicher. Es ist nicht alles Gold was glänzt, selbst wenn es auf „Herz“ gearbeitet ist, sondern manchmal nur Double.
Nun, es kommt auch nicht so sehr darauf an. Ob man auf einen heißen Stein zwei oder sieben Tropfen Wasser träufelt, ist Jacke wie Hose. Scheußlich ist dies: daß der geräuschvoll kreisende nationale Berg ein ärmliches Wohlfahrtsmäuschen nach ganz altem Muster geboren hat, und daß die Opferbüchsen im Schatten eines Ausschusses klappern. Ausschüsse sind von jeher das Grab dringlicher Angelegenheiten gewesen, an dem sich aber immer wieder die alte dumme Hoffnung aufpflanzt. Bis der bescheidene Auftrieb, den sie jetzt erhalten hat, verpufft ist, wird man wohl über die schlimmsten Monate weg sein. Na, und dann wird Brüning oder sonst einer ein Sanierungsprogramm ausgeknobelt haben, mittels dessen man den Karren so langsam wieder aus dem Dreck bringt. Dabei wird man dann allerdings mehr das goldene Herz der unteren Schichten beanspruchen müssen, als das derjenigen, die heute im Vollgefühl einer guten Tat mit vergoldeten Anstecknadeln paradieren.
Und die Massen lassen sich wieder mit der Schafsgeduld, die wirklich ein goldenes Herz vermuten läßt, zwischen den Ausplünderungen des Auf- und Abbaus und zwischen billigen Wohlfahrtsaktionen hin- und herschieben und schlagen sich hie und da, im Hochgefühl ihrer politischen Freiheit und ihres heiß erkämpften Rechts auf die Straße, gegenseitig die Schädel ein oder tragen stolz die Fahnen durch die Straßen. Währenddessen sitzen die anderen gemütlich in ihren Kontoren und in den Cafés und machen ihre Geschäfte auch in miesen Zeiten wie heute; auch in ganz schlechten; auch wenn ein großer Teil der andern schon längst draufgegangen ist. Die, die verkommen, haben eben ihr goldenes Herz am falschen Fleck, nämlich: am richtigen. Das bedeutet heute so viel wie: dumm und hoffnungslos.
1931, 6 M.