Fememörder

— Jg. 1927, Nr. 14 —

„Wenn zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges sich die Schlachtformationen der Landsknechte mit gefällten Lanzen und Hellebarden gegenüberstanden, so konnte der Nahkampf nur dadurch eröffnet werden, daß ein Trupp Freiwilliger unter rücksichtslosem Einsatz des eigenen Lebens in die geschlossene Mauer der feindlichen Waffen einbrach. Diesen Trupp nannte man den „verlorenen Haufen“ . . . Nichts anderes als solch ein „verlorener Haufen“ sind die jetzt zum Tode verurteilten „Fememörder“ . . . Wenn wir . . . jetzt nach dem Richterspruch für den „verlorenen Haufen“ eintreten, und zwar nicht mit dem Ruf der Amnestie und Begnadigung, sondern aus der Überzeugung heraus, daß aus rechtlichen Gründen eine höhere Instanz auf Freisprechung erkennen muß, so tun wir das nicht etwa, weil wir Tat und Täter nach jeder Richtung hin billigen, sondern weil wir, die wir in der Schlachtreihe für die vaterländische Idee kämpfen, diejenigen nicht im Stich lassen dürfen, die die größten Opfer brachten, den „verlorenen Haufen“. Deswegen halten wir uns für verpflichtet, trotz des Todesurteils zu erklären: Die Tat war eine reine Notwehrhandlung.“

So läßt sich die „Süddeutsche Zeitung“ (Abendausgabe vom 28. März) aus Berlin schreiben; es wird also wohl auch in anderen Blättern gestanden haben.

Über die rein juristische Seite mögen andere sich den Kopf zerbrechen; was aber die moralische Seite betrifft, so muß ich sagen: Das ist das einzige aufrechte, menschlich sympathische und vernünftige Urteil, das ich über den Richterspruch im letzten Fememordprozeß gelesen habe.

Der Schulz und der Klapproth und wie sie heißen, das mögen ganz rohe Gesellen sein: Mörder sind es nicht; wenigstens läßt sich das nie nachweisen. Sie haben nach den moralischen Grundsätzen gehandelt, mit deren Hilfe unsere Staaten gegründet worden sind und sich erhalten. Und eines der wichtigsten Gesetze dieser Moral heißt: In Notzeiten darf (darf? nein: muß) der Einzelne sich über die im Privatleben geltenden Gesetze hinwegsetzen, wenn es das Interesse der Allgemeinheit verlangt; der Staatsmann muß lügen, der Bürger (als Soldat) morden. (Ich will mit diesem Satz durchaus nicht Stellung nehmen für oder gegen diese Staatsmoral; Einschaltung für Esel.)

„Ja, aber es war doch damals, 1921 oder 1923 oder wann die Fememorde geschehen sind, gar keine Notzeit.“ — O doch; zum mindesten haben es die Verurteilten geglaubt, und sie haben es glauben müssen, weil die Regierung doch sicher die Lage im Osten für sehr bedrohlich angesehen hat, sonst hätte sie die 25 000 Mann Schwarze Reichswehr wohl nicht unterhalten. Die Angehörigen der „Arbeitskommandos“ haben sich, ganz mit Recht, als legale, aber geheime Truppe gefühlt; haben sie doch im Jahre 1923 im Hause des Reichspräsidenten Ebert die Wache gestellt. Verrat ihrer Existenz bedeutete die größte Gefahr für sie. Um dieser Gefahr zu begegnen, gab es, da die Verurteilung vor einem Gericht, auch vor einem Kriegsgericht, wegen der Geheimhaltung nicht in Frage kam, nur ein Mittel: Verräter in der Stille beseitigen. Die höheren Stellen der Reichswehr und die Regierung haben von diesem Vorgehen ohne Zweifel gewußt und es gebilligt. In dem Richterspruch steckt eine beispiellose Heuchelei: noch heute werden Leute, die über die Schwarze Reichswehr geschrieben haben, von deutschen Gerichten wegen Landesverrats verurteilt, aber deutsche Gerichte verurteilen Leute, welche vor vier Jahren Landesverrat auf dem damals einzig möglichen und vom Reichswehrministerium zweifellos gebilligten Weg verhindert haben, zum Tod.

Das ist auch so ein Stück der Moral, auf der unser staatliches Leben beruht, ohne die es zusammenbrechen würde; und es ist deshalb im Grunde eine große Naivität, zu verlangen, die eigentlich Schuldigen, die Minister und Generäle, sollen zur Verantwortung gezogen werden, oder zu fordern, Wirth, Geßler, Severing und ihre Geheimräte sollen sich jetzt vor die Mörder stellen und sagen: „Wir, nur wir sind schuld, wir haben euch in Notzeiten aufgestellt, wir haben euch zu der Ansicht gebracht, ihr seid eine legale Truppe, Soldaten vor dem Feind, wir haben euch auf dem Glauben gelassen, Verräter müssen, aus Notwehr, getötet werden.“ Sie tun das nicht; sie können das nicht tun.

Diese Verurteilten sind das Opfer, das die Minister, Geheimräte und Offiziere dem Gotte „öffentliche Meinung“ zur Versöhnung dargebracht haben. Sie sind von den Hintermännern im Stich gelassen, verraten worden: ein verlorener Haufen.

1927, 14 Hermann List