Vereinsleben

— Jg. 1925, Nr. 24 —

Wir feiern gegenwärtig wieder ein bißchen viel Feste, trotzdem wir „durch und durch verarmt“ sind. Dabei ist ein sehr munter bewegtes Vereinsleben zu konstatieren.

Das ganze Volk scheint sich manchmal in Vereine aufgelöst zu haben. Diese Vereine leben von dem Klamauk der periodischen Feste mit ihren öffentlichen Umzügen, Dauerreden und Banketts („Orden und Ehrenzeichen sind anzulegen“), den Wallungen und Ballungen künstlich gezüchteter Hochgefühle, den Kassenberichten, Rück- und Ausblicken. Die Ursache dieser Veranstaltungswut ist immer das kindliche oder kindische Bestreben, etwas zu gelten, etwas zu scheinen. Man will irgend eine bedrückende Situation durch den Tamtam großer Worte überwinden. Man sucht sich Beachtung zu verschaffen: durch Blechmusik und Aufmachung. Der Geist Wilhelms II. schwebt über dieser Republik.

Ob sich ein General bei einem Regimentsappell dicke tut, oder ob ein Reserveoffizier in einer Gefreitenvereinigung sich einen Rahmen für sein bescheidenes Ehrgeizehen geschaffen hat — es ist im Grunde genau dasselbe, als wenn deutsche Mannen Hochtouristik auf völkische Art betreiben, oder Arbeiter durchaus proletarisch Mandolinen spielen. Patriotismus und Lokalpatriotismus überkugeln sich in edlem Wettstreit. Jedes Nest hat seine historischen Festspiele und feiert sie nach dem gleichen Klischee wie die Jahrtausendfeier am Rhein. Vorstände von Verschönerungsvereinen sprechen dabei wie Minister, und Minister zuweilen wie Vereinsvorstände. Landstriche besinnen sich in geräuschvoller Weise auf ihre Eigenart; Kulickes interessieren sich mächtig für ihren komplizierten Familienstammbaum und berufen Familientage ein. Es gibt offenbar überhaupt nichts mehr, was nicht Anlaß zu Vereinsgründungen, Festen und Umzügen, zu Paraden und Reden wäre.

Der Schein interessiert heute eben mehr als das Sein. So auftreten, als ob man nicht Sekretär, sondern Rechnungsrat, nicht Commis, sondern Abteilungsvorsteher wäre: das ist der Drang jedes Deutschen. Jeder möchte in seinem Umkreis höher „eingestuft“ sein, als seiner Stellung eigentlich entspricht. Nur ja um Gotteswillen nicht zeigen was man ist.


Auf das ganze Volk übertragen ergibt das dann diesen neudeutschen Klamauk, an dem die ausländischen Studienkommissionen irre werden. Weil kein Mensch auf den Gedanken kommt, daß ein angeblich armes und ausgepowertes Volk auf diese Art und Weise seine Armut, wahrhaftig: seine Armut zum Ausdruck bringt.

1925, 24 Hermann Mauthe