— Jg. 1932, Nr. 23 —
Lieber Freund, du bist immer noch Mitglied der SPD, hast, trotz mancher Bedenken, getreu der Parole deiner Führer vor einigen Wochen den Marschall „Vorwärts“, Herrn von Hindenburg, gewählt, weil er dir als letzter, als einziger Schutz gegen den Fascismus empfohlen worden ist – und jetzt bist du natürlich schwer enttäuscht. Wenn die Lage nicht so scheußlich ernst wäre, würde ich sagen: geschieht dir recht. Denn erstens scheint es in der Art Hindenburgs zu liegen, daß er seine Wähler enttäuscht; 1926 haben ihn die Rechtsparteien aufgestellt und gewählt, weil sie hofften, er werde ihrem Einfluß erliegen aber siehe da, Hindenburg wurde ein guter, verfassungstreuer Republikaner und Hüter des „Systems“; 1932 wird Hindenburg von den System-Parteien aufgestellt und gewählt, weil er angeblich ein Schutz gegen den Fascismus sein soll — aber siehe da, Hindenburg stürzt das „System“ und öffnet den Fascisten die Türe zur Regierung. Das hättest du vielleicht doch ahnen können. Und zweitens hättest du, auch wenn du gegen die Persönlichkeit gerade Hindenburgs nicht hast mißtrauisch sein wollen, wissen müssen, daß überhaupt nicht eine einzelne Person ein „Bollwerk“ gegen den Fascismus sein kann.
Aber so treibt ihr, du und deine Parteifreunde, Politik. Ihr überlegt, ob man wohl dieser oder jener Persönlichkeit das Schicksal der Arbeiterklasse „anvertrauen“ kann; ihr betrachtet die Nationalsozialisten als einen Haufen blöder oder perverser Gesellen; ihr habt geglaubt, sie könnten nie zur Macht kommen (oder würden sich, einmal an der Macht, sofort unsterblich blamieren), weil es ihnen angeblich an Sachkenntnis und Verstand fehlt. Ihr betrachtet die Politik allmählich mit den Augen des spießigsten Kleinbürgers. So viel ist von eurem einstigen Marxismus übrig geblieben! Ihr könntet heute vom Marxistenfresser Hugenberg Marxismus lernen, der die politische und wirtschaftliche Entwicklung richtiger vorausgesehen hat und besser gerechnet hat. Deshalb nähert er sich heute seinem Ziel, während eure Partei Schiffbruch erlitten hat.
Ihr habt die Krise für eine vorübergehende, durch die Unachtsamkeit oder Dummheit der Wirtschaftsführer hervorgerufene Erscheinung gehalten und den Fascismus für einen von tüchtigen Propagandisten aufgeblasenen Luftballon, der bald zerplatzen wird. Wer aber einmal erkannt hat, daß die Krisen im Kapitalismus unvermeidlich sind, und daß sie im absterbenden Kapitalismus immer schärfer werden, und wer erkannt hat, daß der Fascismus aus der Krise einerseits und der Kampfunfähigkeit der Arbeiterklasse andererseits mit Notwendigkeit entstehen muß, der weiß, daß er sich bei jeder politischen Entscheidung nur nach dem einzigen Gesichtspunkt zu richten hat: wie stärkt man die Kampfkraft der Arbeiterklasse? Darnach habt ihr nicht gefragt. Eure Tolerierungspolitik war deswegen (und nur deswegen) falsch, weil sie die Arbeiterschaft von Tag zu Tag mehr geschwächt hat. Wenn man jahrelang Lohnabbau und Raub aller politischen und wirtschaftlichen Rechte widerstandslos hinnimmt, dann wird man selber schwach und der Gegner stark und dann kann man nicht plötzlich sagen: halt!, sondern dann wird man eben eines schönen Tages vor die Tür gesetzt, so, wie man’s euch gemacht hat. Das ist sehr „undankbar“ von den Herren, denen ihr bisher gedient habt, sehr undankbar vor allem von dem, der nur durch eure Hilfe noch im Amt ist aber die Politik fragt wenig nach kleinbürgerlichen Moralbegriffen; der Vorwurf, falsche Politik getrieben zu haben, trifft nicht sie, sondern euch.
Wo ist jetzt der Widerstand der „Eisernen Front“? Was für mutige Worte hat man im Wahlkampf von euren Führern gehört! „Niemals!“ — „entschlossener Widerstand“ — „Kampf bis aufs Messer“ usw. Jetzt haben die Fascisten mindestens zu drei Vierteln die Macht erobert — aber wo ist der Widerstand?
Es wird in eurer Partei viel über die „Bonzen“ geschimpft; auch du tust das gern, wahrscheinlich um zu zeigen, wie revolutionär du bist. Aber ich gebe gar nichts auf das Geschimpfe über die „Bonzen“. Wenn auch nur ein kleiner Teil der Mitglieder erkannt hätte, daß die Politik der Partei falsch ist und zum Bankrott führt und gesehen hätte, warum sie falsch ist und welche Mittel es gibt, um die Arbeiterklasse zu stärken, dann hätten die „Bonzen“ den Einfluß nicht mehr, den sie heute noch haben.
Entschuldigt euch doch nicht immer mit der Behauptung, die kommunistische Partei habe eben gar nichts Anziehendes für euch, auch ihre Politik sei falsch und schwäche die Arbeiterklasse. Das ist zum Teil richtig, zum Teil übertrieben; auf keinen Fall ist es eine Entschuldigung für euer Verhalten. Wenn ihr die Fehler eurer Partei bis auf den Grund erkannt habt und bereit seid, aus der Erkenntnis die Konsequenzen zu ziehen, dann findet ihr auch Wege, um eure Erkenntnis in die Tat umzusetzen.
Dein ***
Lieber Freund, du kannst jetzt, wie alle Kommunisten, mit einigem Stolz darauf hinweisen, wie richtig die Parole der KPD: „Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler“ gewesen ist; wie richtig es gewesen ist, wenn die KPD immer wieder betont hat, daß die Arbeiterklasse in der heutigen Situation eine durchaus selbständige Politik treiben müsse, eine Politik, deren oberster Leitsatz ist: Stärkung der Arbeiterklasse. Jetzt, wo die Tolerierungspolitik Schiffbruch erlitten hat, müsse, sagst du, doch wohl jeder zugeben, daß die KPD richtig gehandelt habe.
Gewiß. Trotzdem aber ist der Einfluß der KPD nicht im Wachsen, sondern im Sinken. Das Ergebnis der Landtagswahlen in Oldenburg beweist ebenso wie die sonstigen Wahlen der letzten Zeit, daß die KPD nicht einmal die Verluste der SPD für sich buchen kann. Du wirst sagen, Wahlzahlen seien kein Gradmesser für die Stärke einer Partei oder gar einer Klasse — aber zeigt denn die außerparlamentarische Wirklichkeit ein anderes Bild? Das wirst du nicht behaupten wollen.
Wir stehen also vor der Tatsache, daß in der heutigen Situation sowohl die SPD als auch die KPD an Einfluß verlieren, und das bedeutet: daß die Arbeiterklasse schwächer wird. Wie kommt das?
Bei der Beantwortung dieser Frage darf man natürlich SPD und KPD nicht in einen Topf werfen. Daß die SPD abnimmt, ist sehr natürlich; das kann gar nicht anders sein, denn eine so schwere Wirtschaftskrise muß jede reformistische Arbeiterpartei schwächen; verwunderlich ist höchstens, daß der Zerfall nicht noch schneller geht. Bei der KPD ist das etwas ganz anderes. Ihr werden von der Krise die Massen zugetrieben; ihr Einfluß muß steigen, vorausgesetzt daß — ihre Politik richtig ist. Man könnte etwa sagen: Die SPD kann taktisch noch so geschickt operieren, sie wird verlieren; die KPD muß schon eine sehr ungeschickte Taktik anwenden, wenn sie es fertig bringen will, zu verlieren. Und so ist es ja gegenwärtig.
Inwiefern die Taktik der KPD falsch ist, ist schon dutzendmale gesagt worden und dir (wie vielen in der Partei) sehr wohl bekannt. Oder willst du bestreiten, daß (um gleich das Wichtigste zu nennen) die Kommunisten jeglichen Einfluß in den Massenorganisationen (Gewerkschaften, Kulturorganisationen) verloren haben, zu mindestens achtzig Prozent durch eigene Schuld? Was hilft da die Aufforderung, sich der Arbeit in den Massenorganisationen zuzuwenden, wenn in ihnen keine Stützpunkte mehr vorhanden sind? Was hilft (um ein anderes Beispiel zu nennen) die Aufforderung: Das Gesicht dem Betrieb zu!, wenn die Partei jahrelang die Betriebsarbeit vernachlässigt und ihre Hoffnung auf die revolutionären Erwerbslosen gesetzt hat? Natürlich ist, wie auch diese Beispiele zeigen, in letzter Zeit manches an der Taktik geändert worden aber was nützen alle diese halben Wendungen, wenn nicht die ganze taktische Linie der Partei von Grund auf überprüft wird? Das ist aber nur möglich, wenn in der Partei die Diskussion über taktische Fragen freigegeben wird. Und zwar sofort.
Nun gibt es in der Partei Leute (ich weiß nicht recht, ob auch du zu ihnen gehörst), die das alles zugeben, dann aber sagen: Die Partei ist in einer schweren Krise; diese Krise muß überwunden werden. Aber das braucht Zeit. Für den Augenblick ist die Partei nun eben einmal nicht aktionsfähig; man muß natürlich daran arbeiten, daß sie es wieder wird, aber das geht nicht so schnell, dazu ist viel beharrliche, stille Arbeit innerhalb der Partei notwendig.
Wer so sagt, hat im Grunde schon vor dem Fascismus kapituliert. Denn wenn die Partei nicht jetzt, in den nächsten Wochen aktionsfähig wird, wenn es ihr nicht noch gelingt (was doch ihre Aufgabe und ihr Ziel ist und was zu erreichen sie den besten Willen hat), in der Arbeiterklasse den Widerstand gegen den Fascismus zu organisieren — dann ist das Schicksal der deutschen Arbeiterschaft auf Jahre hinaus entschieden. Eine furchtbare Verantwortung liegt jetzt auf der kommunistischen Partei. Jetzt hat sie es noch in der Hand, ihre Taktik zu ändern und damit den Grund zu legen zum erfolgreichen Kampf gegen den Fascismus, der sie und die ganze Arbeiterbewegung bedroht, jetzt noch — aber nicht mehr lange. Glaubst du, daß sie die Frist, die ihr noch gegeben ist, nützen wird?
1932, 23 · Dein H. D.