Unterschiede

— Jg. 1925, Nr. 15 —

Wenn deutsche Kapitalisten mit französischen und englischen zusammenkommen, um neue Verdienstmöglichkeiten auszuknobeln, dann ist das im Interesse des „Vaterlandes“.

Wenn deutsche Pazifisten nach Frankreich gehen, um unter Einsatz ihrer ganzen Persönlichkeit Fäden der Verständigung zu knüpfen, dann ist das nationale Würdelosigkeit.

Wenn ein durch Jahre der Entbehrung zermürbtes Volk zusammenbricht, weil man ihm im größten aller Kriege zumutete, alle Lasten zu tragen, dann ist das vaterlandslos und ein schmählicher Dolchstoß.

Wenn Generale und Monarchen im Moment der größten Verantwortung um falsche Pässe betteln, kopflos werden, weil sie Angst um ihren Kopf haben, dann folgt ihnen die Liebe und die Hochachtung aller guten Patrioten.

Wenn Studenten und ehemalige Offiziere politische Mordorganisationen gründen, den Gegner feig aus dem Hinterhalt niederknallen lassen, wenn sie durch kindische Attentate dem Staat die größten Schwierigkeiten bereiten, dann umstrahlt sie der Glanz edlen Heldentums.

Wenn Arbeiter aus der Not ihres Daseins heraus sich zu Krawallen hinreißen lassen, wenn dann aus irgend einer dunklen Ecke ein Schuß fällt, dann ist Grund dafür, Maschinengewehre knattern zu lassen, und die Überlebenden wegen Landfriedensbruch auf Jahre ins Zuchthaus zu schicken.

Wenn ein Beamter seiner republikanischen Gesinnung Ausdruck verleiht und für den Staat eintritt, dem er den Treu-Eid geschworen hat, dann ist er ein Fremdkörper, der früher oder später ausgeschieden werden muß.

Wenn ein Diener der Republik unzweideutig ausspricht, daß die Monarchie wieder kommen muß, wenn ein Minister den Eid auf die republikanische Verfassung leistet, gleichzeitig aber Führer der monarchistischen Bewegung ist, dann ist er der Mann aller aufrechten Deutschen.

Wenn nationale Politiker ihren Wählern alles versprechen und nichts halten, wenn sie stets wie Esel zwischen Ja und Nein schwanken, dann sind sie die geborenen Führer des Volkes.

Wenn die bösen Republikaner nicht so uneins sind, wie man das gerne haben möchte, wenn sie die Pläne des Gegners durchkreuzen, dann ist das ein widerlicher Kuhhandel von Parteibonzen.

Wenn der Reichs-Rechts-Jarres-Block die Felle davonschwimmen sieht, und deshalb gerne Hindenburg vor seinen Parteiwagen spannen möchte, dann geschieht das wirklich nur in ehrlicher Sorge um das darniederliegende Vaterland.

Wenn die Republikaner entschlossen sind, der Republik auch in der kommenden entscheidenden Stunde zum Sieg zu verhelfen, dann tun sie es nur in dem Bestreben, sich die Futterkrippe zu erhalten.

Wenn einer eine andere Ansicht hat, als die eben skizzierte, dann ist er in den Augen der Patentpatrioten kein deutscher Mann.

1925, 15 · hm

Das Jahr 1925 war in mancher Hinsicht ein Schicksalsjahr für die junge Weimarer Republik. Nach sechs Jahren Demokratie war das Vertrauen der Deutschen in die Republik auf einem Tiefpunkt. Unruhen und Putschversuche, ständige Regierungswechsel, politische Morde und die Verarmung des Mittelstandes nach dem Inflationsjahr 1923 – all dies führte dazu, dass der Ruf nach einem starken Mann an der Spitze des Staates immer lauter wurde. Viele Deutsche wollten schlicht ihren Kaiser Wilhelm wieder haben.

Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/hindenburgs-wahl-als-auftakt-zum-dritten-reich.871.de.html?dram:article_id=125103